Es ist ziemlich schick, auch unter AnarchistInnen, den Begriff Hoffnung mit einem höhnischen Lächeln abzutun und jegliche Chance auf eine vollständige Besiegung von Herrschaft und Unterdrückung ausdrücklich zu verneinen. Desert (2011) breitet diese Perspektive auf dem Titelblatt aus: «In unseren Herzen wissen wir alle, dass die Welt nicht „gerettet“ wird », und wiederholt diese Aussage zwei weitere Male auf der ersten Seite. Die Zivilisation wird fortbestehen. Es ist an der Zeit, die „zum Vorneherein nicht zu gewinnenden Schlachten“ aufzugeben. Somit wird das Elend aus Burnout und Ernüchterung eingeräumt und wir werden alle glücklicher sein(!) Die Mexikanische Gruppe vom Typ Unabomber, die Zum Wilden Tendierenden Individualitäten (ITS) verkünden ebenso bestimmt, dass es keinen Sieg geben wird. „Wir glauben nicht, dass es möglich ist“, erklären sie wiederholt.
Aber es ist möglich. Unsere Überwindung der Krankheit Zivilisation ist, selbstverständlich, überhaupt nicht gesichert aber sicher möglich. Ich ziehe Kierkegaards Aussage über die Hoffnung vor: Es ist „die Leidenschaft für das Mögliche.“ Oder, mutiger, was wurde aus „Fordere das Unmögliche„ gemacht? Und wenn der Sieg abgelehnt wird, ist das Spiel für uns etwa nicht schon zu Ende?
Wir können an Marcuses Der eindimensionale Mensch erinnern, welches das offensichtliche Ende der radikalen Möglichkeiten, den definitiven Triumph der Unfreiheit des Konsumisten verkündete. Wochen nach der Veröffentlichung des Buches war er entzückt, dass die Anfänge der globalen Bewegung, die 1964 der Welt einen Stoß versetzten, ihn Lügen strafte. Und da das globale System selbst sieht, dass es auf allen Ebenen scheitert, selbst sieht, dass es keinerlei Antworten hat, ist jede Möglichkeit offen, die Bewegung der ´60iger Jahre qualitativ zu überholen.
Aber nicht selbstredend, wenn wir auf jegliche Hoffnung auf Überwindung verzichten. Es ist wohlbekannt ist, dass Gesundheit und Heilung von einer Krankheit nicht mit der Abwesenheit von Hoffnung sondern mit ihrem Gegenteil verbunden ist. Betrachte den letzten Roman des Serben Danilo Kis, Psalm 44, über den Willen einer jungen Familie, Auschwitz zu überleben und zu widerstehen, wo die Visualisierung der Hoffnung eine „Notwendigkeit“ ist. Für uns und das Leben stehen die Dinge wirklich schlecht, aber wir sind nicht in Auschwitz. Und dennoch verachten wir die Hoffnung?
Egoismus und Nihilismus sind unter AnarchistInnen offensichtlich in und ich hoffe, dass jene, die sich als solche identifizieren, nicht ohne Hoffnung sind. Illusionen nein, Hoffnung ja. Ich frage mich, was wir auf die Länge in Sachen, sozusagen, Analyse und Inspiration anzubieten haben – oder ob das immer noch sehr viel verlangt wird.
Es gibt EgoistInnen, die vor allem in ihr heiliges Ich verliebt zu sein scheinen, wo alles insofern eingeschätzt wird, als das es dem eigenen Selbst dient. Unterdessen mästet die herrschende Techno-Kultur den Solipsismus, Narzissmus und die Isolierung umso stärker die Techno-Abhängigen ihr unterworfen sind?. Erkannte Max Stirner den Wert der natürlichen Welt nur in Verbindung mit jemandes Ego an? Welches Interesse kann der reine Egoist an der gegenseitigen Hilfe, an den sozialen Kämpfen oder am Verschwinden der Gemeinschaften haben? Ich empfehle Stirners Der Einzige und sein Eigentum als wichtiges Korrektiv zu den Aufrufen zum Kollektivismus in seinen unterschiedlichen Gestalten aber neige dazu, dem Anarchisten Dann Todd aus Arizona zuzustimmen, dass Diogenes und die westlichen Zyniker und Chuang-tzu und einige östliche Taoisten zum Thema schon vor Jahrhunderten eine sogar bessere Arbeit geleistet haben.
Heißt Nihilismus, dass fast alles die Möglichkeit zu einem anständigen Leben fördern muss? Wenn ja, dann bin ich Nihilist. Man kann füglich anmerken, dass Nihilismus nicht wortwörtlich Nichts-ismus ist, sonst könnte man nicht beides, also NihilistIn und AnarchistIn, sein. Wenn es eine Politik der Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit bedeutet, nein danke. Der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard setzte das Wort in ein anderes Licht: „Was der Westen mit der Megalopole verwirklicht und verbreitet ist sein Nihilismus. Er heißt Entwicklung.“ Gibt es NihilistInnen, die solche Institutionen bekämpfen und was treibt sie dazu?
Es steht, jedenfalls, mehr als Anti-Hoffnung zur Verfügung. Zwei neue Bücher erinnern uns daran. Von der Zivilisation befreit von Enrico Manicardi ist das der erste, in allen Sprachen angebotene Typ eines A–Z Antiziv-Buches (im Original: Liberi dalla Civilta), und The Anarchist Revelation: Being What we´re Meant to Be von Paul Cedane das am wenigsten pessimistische Buch, das ich zur Lektüre empfehlen kann. Es bezieht sich auf den deutschen Anarchisten Gustav Landauer, so z.B. auf die Idee, dass „wir uns um die Quantität jener, die dem Rufe folgen, nicht kümmern müssen, da die Qualität der (anti-zivilisatorischen) Inhalte unumstritten ist.“ Es führt den anarchistischen Widerstand und Geist in einem weitgefassten und starken Beitrag zusammen.
Schwere Zeiten, aber wie Oscar Wilde sagte, „Wir sind alle in der Gosse, aber einige von uns schauen auf die Sterne.“.
„Why Hope? (Critique of the Nihilist tendency in Anarchism)“ von John Zerzan
Üb. mc, Menzingen