erhalten am 24.7.2017
Tausende Menschen trugen während des G20 Gipfels ihre Wut über die Bullengewalt und die Welt, die durch sie verteidigt wird, auf die Straßen Hamburgs.
Die Bullen machten schon in der Woche vor dem Gipfel klar, dass sie nicht zimperlich sein werden und unterstrichen ihre Linie mit dem direkten Angriff auf die Demonstration am Donnerstag Abend. Offenkundig wurden schwere Verletzungen oder gar Tote billigend in Kauf genommen, als der vordere Teil der Demonstration in einer engen Straßenschlucht unter Schlägen, Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfer-Einsatz auseinandergetrieben wurde – Panik entstand, es blieb für viele nur die Flucht über eine hohe Mauer. Viele wurden verletzt, aber es gab auch Szenen von beeindruckender Solidarität, als Menschen sich gegenseitig halfen, die Mauer zu erklimmen, die Bullen von oben stetig angegriffen wurden und sehr besonnene Reihen die Schläge der Bullen einsteckten, um den Rest der Demo zu schützen.
Der Knüppel im Gesicht, das Knie im Nacken, Pfeffer in den Augen sollen daran erinnern, wer in dieser Welt das Sagen hat. In diesen Tagen trafen sich Vertreter der 20 reichsten Länder, um über den Fortbestand dieser Ordnung des Elends zu beraten. Abertausende Bullen sollten dieses Spektakel vor denjenigen schützen, die den arroganten Autoritäten anlässlich dieses Gipfels ihre Wut, ihren Hass, ihren Widerstand entgegenbringen wollten.
In der Nacht auf den Freitag nahmen sich bereits viele Menschen einen Teil der Würde, die uns diese beschissenen Verhältnisse Tag für Tag rauben zurück und griffen an etlichen Orten die Cops an, errichteten Barrikaden und verursachten mit Hämmern, Steinen und Flammen an vielen Stellen der Stadt Risse in der Fassade einer Gesellschaft, in der nur Platz für diejenigen ist, die funktionieren, konsumieren und sich anpassen.
Kaum waren die Barrikaden der Nacht gelöscht, gingen am frühen Morgen des Freitags die ersten Autos in Flammen auf. An verschiedenen Orten der Stadt machten sich Gruppen auf den Weg um zu zeigen, dass es an diesen Tagen um mehr gehen sollte als um den Angriff auf ein Treffen von Staatsoberhäuptern. Unter anderem Immobilienbüros, Luxusautos, dieJugendgerichtshilfe, Banken und die glitzernden Fassaden der Einkaufshöllen wurden Ziel von Angriffen und auch die ersten Cops mussten unter Angriffen die Beine in die Hand nehmen. An vielen anderen Orten der Stadt blockierten andere Massenhaft mit Sitzblockaden und Demonstrationszügen, ohne dass sich die Mittel, für die sich Menschen
entschieden, in die Quere kamen.
Am Freitag entlud sich die Wut mit einer disruptiven Wucht, die in diesem Kontext leider selten ist.
Die bürgerliche Friedhofsruhe zu stören und die Normalität zu unterbrechen, die Stadt der Reichen und des Konsums am Funktionieren zu hindern und keinen Zweifel daran zu lassen, dass der Bullenstaat uns
nicht am Leben hindern kann, ist eine sehr bestärkende Erfahrung.
Freitag wurde sich ein Stück des Raumes, den die Autoritäten im Interesse ihrer Herrschaftsinszenierung den Menschen in dieser Stadt mit aller Gewalt abgetrotzt haben, für einige Stunden zurückerkämpft. Mittels brennender Barrikaden und beständigen Angriffen auf die Bullen wurde ein Raum geschaffen, in dem Menschen sich für einige Stunden unabhängig von der Macht des Staates entscheiden konnten, was sie tun wollen.
Es wurde geplündert, Menschen nahmen sich, was sie brauchten oder wollten, andere wiederum zerstörten Symbole der jeden Sinn für ein wildes, freies Leben abtötenenden Welt des Konsums und machten sie zum Raub der Flammen.
Es zeigte sich eine beeindruckende Vielfalt von Menschen, die sich an diesem Tag die Straße teilten, plünderten, Barrikaden errichteten und die Cops angriffen – viele von ihnen vermutlich nicht Teil irgendeines Protestmilieus.
Wenn irgendein selbsternannter Sprecher von irgendwem sagt, dieser Krawall habe sich an sich selbst berauscht und er habe keine politische Ausrichtung, dann muss man ihm bei allem Ekel gegenüber seinem kriecherischen Opportunismus recht geben: Dieses notwendigerweise gewaltvolle Abtrotzen eines Raumes, der nicht von den Bullen dominiert wird, welches einen grundsätzlichen Bruch mit dem bedeutet, was uns hier Tag für Tag auferlegt wird, hat nichts mit
einer politischen Agenda oder dem Programm irgendeines Bündnisses zu tun, sondern mit der individuellen, völligen Wiederaneignung unserer Leben.
Wenn damit hier und dort ein gewisses Unbehagen, im Zweifel sogar Angst vor einer Situation, in der die gewohnte Ordnung in der Tat aus den Fugen gerät einhergeht, ist das nachvollziehbar und notwendiger Bestandteil eines grundsätzlichen Bruches mit dieser Realität.
Wir müssen uns ferner die Frage stellen, um wessen Angst vor wem oder was es hier geht. Wenn eine so satte und reiche Gesellschaft wie die dieser Stadt des Geldes und des Handels um ihr Eigentum bangt und das Fürchterliche an den Zerstörungen die Tatsache ist, dass dort Waren entwendet und Einkaufsmöglichkeiten verwüstet wurden, dann gehört diese Gesellschaft zerstört.
Unsere Domestizierung in dieser Welt der Autorität ist sehr umfangreich. Der vielbeschworene Bulle im Kopf ist hartnäckig.
Wenige können sich vorstellen, was es bedeutet die Autoritäten zu vertreiben, deswegen müssen wir Momente schaffen, in denen wir ihre Abwesenheit erleben. Das Menschen auch in diesen Situationen Entscheidungen treffen, die im
Nachhinein als nicht richtig oder verantwortungsvoll erscheinen, ist in diesen Momenten wie in allen anderen Lebenssituationen nicht besonders überraschend. Auch über diese Dinge muss geredet werden, wenn wir einer
Vorstellung von Freiheit näher kommen wollen. Dennoch muss klar sein, dass es keine Objektivität gibt – schon gar nicht in der Revolte. Sie besteht in ihrem Kern aus der individuellen Verantwortung und Initiative all jener, die zu ihr beitragen wollen.
Es ist dieser Tage offenkundig sehr einfach, dem Diskurs der Autoritäten und Bewahrer_innen dieser Ordnung auf den Leim zu gehen. Diejenigen, die dieser Tage bereitwillig Leben aufs Spiel setzten, waren die Bullen – daran gibt es nichts zu rütteln. Sich im Angesicht der Hetze und Propaganda die bestärkende und befreiende Erfahrung dieser Momente streitig machen zu lassen, wäre ein großer Fehler.
An diesem Wochenende hat der Widerstand den Rahmen des politisch opportunistisch durchorchestrierten Protests verlassen und es zeigt sich abermals, dass es in der Revolte immer wieder um die Frage geht, für welche Seite sich entschieden wird. Für die Seite derer, die diese Gesellschaft, diese Ordnung, dieses System in Trümmern sehen wollen im Sinne eines Lebens in Freiheit und Würde, mit allen Fehlern und Triumphen, die die Revolte mit sich bringt.
Oder für die Seite derer die im Zweifel feststellen, dass sie ein kuschliges, kalkulierbares Protestmilieu im Rahmen der Sicherheit der totalitären Verhältnisse dem tatsächlichen Aufbruch in die Fröste der Freiheit vorziehen.
Anarchist_innen für die soziale Revolte
Hamburg, Sommer 2017
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