erhalten am 24.4.2018
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Vom 10.-13. Mai werden in Berlin die Diskussions- und Chaostage stattfinden. Ein Wochenende, um aus dem Winterschlaf zu erwachen und sich wieder bewusst zu machen, dass wir nur durch selbstbestimmtes Handeln – durch den eigenen Entschluss zu kämpfen – Einfluss auf unsere Leben nehmen können.
In dieser Stadt, in der wir leben, kommt es uns immer häufiger so vor, als führen wir so schnell es geht, ausschließlich von einer umkämpften und abgeschotteten Insel zur anderen. Auf diesem Weg gilt es stets ein Meer von Orten zu durchfahren, die Mensch nur mit Pfefferspray, guten Sprüchen oder Scheuklappen überstehen kann: die verhassten Warschauer- oder Monumenten-Brücken, die Kinderwägen-Scharen in Prenzlauer-Berg, die Sauftourist*innen im Wrangel- oder Weserkiez, dazwischen die vor sich hin trottenden Ordnungsämtler*innen.
Andererseits bleibt unser Blick stets geschärft, für Lücken und Risse in den Mauern dieser verkauften Stadt. Was hat sich in diesem Stadtteil verändert? Wer baut denn hier schon wieder? Ein neues Wandbild Ecke O-Straße? Ist das eine neue Rundkamera auf dem Dach? Schön, ein bemalter Zug…
Bezahlbarer Wohnraum ist eine Rarität geworden. Eigentumswohnungen sprießen aus dem Boden und große Konzerne versuchen sich in den angesagten Szenekiezen breit zu machen. Nachdem ein jahrelanger Verdrängungsprozess die Bewohnerin*innen in Friedrichshain, Nord-Neukölln und Kreuzberg zu großen Teilen ausgetauscht hat, haben jetzt Konzerne wie Zalando und Google diese Kieze als den perfekten Nährboden für ihre Visionen einer Stadt der Kreativen sowie der unendlichen Verwertungsmöglichkeiten entdeckt. Zalando macht sich in Kreuzberg und in der Nähe des Ostbahnhofes breit, während Google seinen neuen Campus auf dem Gelände des ehemaligen Umspannwerkes in der Ohlauer Straße errichtet.
Hier soll dann viel Platz sein für eine junge Elite, mit ihren sinnentleerten Start-Up-Kreationen. Diese Elite selektiert sich in rasanter Geschwindigkeit: Es gilt die genialsten Ansätze zu entwickeln, um den technologischen Zugriff auf die Gedanken- und Körperwelt jedes Menschen glaubwürdig als Streben nach Weltverbesserung zu verkaufen.
Berlin soll sich einreihen können in die Auflistung der attraktivsten Standorte für die neue smarte Arbeitswelt. Die schillernde Welt der Start-Ups und Industrie 4.0 stellt besondere Anforderungen an ihre Umgebung. Mit Arbeit muss ein gewisser Lifestyle verkörpert werden können, sodass „arbeiten gehen“ nicht abgekoppelt von den Tätigkeiten der Freizeit betrachtet wird. Arbeit scheint verflochten mit den Lebenswelten und Identitäten der Kreativen. Sie wollen sich abgrenzen können von einem Acht-Stunden Proletarier, sie halten sich für frei, selbstbestimmt und individuell, in dem was sie denken und tun.
An diesem Bild muss sich die Umgebung ausrichten und nach diesem Anspruch suchen sich die Konzerne ihre Viertel aus. Ein unkritischer Fetisch für Technologie zusammen mit alternativen Lebensformen sind hierbei Qualitäten, die besonders attraktiv für eine Stadtvermarktung sind. Berlin, eine Stadt der Modefreaks, des Graffiti, der alternativen Filmszene, der Open-Air Raves und Unkonventionellen, eine Stadt in der jeder und jede eintauchen kann… dieses Bild gilt es nach außen zu tragen. Mit der unerwähnten Beiläufigkeit, dass diese hippen und alternativen Lebensformen, brav die selben kapitalistischen Vorstellungen reproduzieren und produzieren müssen wie die konservative Reihenhaus-Siedlung.
Um diese Gratwanderung zwischen profitorientierter Stadtvermarktung und scheinbarer Freiheit zu meistern, benötigt es unauffällige Formen von sozialer Kontrolle, Diskursmacht und Aufstandsbekämpfung. Es muss fein getrennt werden zwischen jenen, die dazu gehören können und jenen, die die Drecksarbeit leisten sollen. Und es muss weiterhin unterbunden werden, dass diese Aufteilung dazu führt, sich zu wehren oder gar die Arbeit zu verweigern.
Mit der zunehmenden Kameraüberwachung haben wir ja bereits seit Jahren zu kämpfen, in allzu naher Zukunft werden wir der Gesichtserkennung nicht mehr ausweichen können. Zur Zeit wird diese am Bahnhof Südkreuz öffentlich, ebenso aber bereits in vielen Supermärkten und Modeketten verdeckt getestet. Die Strategie der Ordnungsbehörden ist hierbei klar: Verdächtige Personen schon vor einer möglichen Straftat identifizieren zu können, Menschen, die nicht in das normierte Stadtbild passen zu selektieren und ein Gefühl der panoptischen Beobachtung als normal und notwendig zu verankern.
Die Videoüberwachung zusammen mit Bodycams, Drohnen oder Smartphones ist nur ein Teil eines ganzen Arsenals voller Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten. Die Einführung von E-Tickets, bargeldloses Bezahlen, die elektronische Gesundheitskarte, der neue Personalausweis, die Tracking Methoden in den Hallen von Amazon – zu all dem gesellen sich die stumpfen Söldner*innen der Ordnungsämter und Ticketkontrolleur*innen und das Übermaß an privaten Sicherheitsfirmen, die durch die Straßen schleichen.
Manchmal haben wir das Gefühl zu ersticken an dieser Entwicklung des Zugriffs auf unsere Körper und Gedanken. Es fällt schwer sich über Graffitis an den Wänden zu freuen, über ein spontanes Konzert im Park, ein Drohnen-Video von 1UP … Widerstandsformen gehören längst in dieses Stadtbild. Auch illegale Kunst und kriminelle Aktionen kreieren bereits verwertbaren Charme dieser Großstadt. Das Spektakel der 1. Mai Demonstration in Berlin ist wohl das einleuchtenste Beispiel der Integration von Widerständigen in ein aufregendes Tourismus-Event.
Aus diesem Gefühl auszubrechen gelingt uns nur durch den stetigen Angriff jedes Partikels dieser Entwicklung. Hätten wir einen Masterplan, wir würden alles auf eine Karte setzen.
Da kommt uns der Vorschlag der Diskussions- und Chaostage doch ganz gelegen. Es wird ein Rahmen gesetzt, innerhalb dessen wir uns beteiligen können, den wir aber auch sprengen dürfen, erweitern, den wir zu wenig unterfüttert, aber andererseits auch schlicht sympathisch finden. Wir finden es bereits spannend, mit Leuten darüber zu diskutieren, was das denn jetzt schon wieder soll mit den Chaotentagen. Ein wenig vermessen? Ein guter Aufhänger für eine Analyse des Status Quo?
Warum nicht sich unterschiedlichste Aktionen ausdenken, um dieses schmierige hippe Stadtbild zu stören und ein bisschen Sand in das Getriebe der – alltäglich mit Lohnarbeit vollgestopften – Massen zu streuen. Wir können uns überlegen, wo wir den technologischen Fortschrittswahn angreifen können. Wir können uns überlegen, welche Skills wir teilen müssen für eine Erweiterung und Ergänzung der Kampfformen.
Wie wir das umsetzen wollen, ist uns allen überlassen. Es kann damit anfangen, ein paar Freund*innen zu motivieren und statt Bier zu trinken, gemeinsam loszuziehen: Sprayen, Plakate kleben, Kontrollettis nerven, BVG Automaten zukleben, Kameras runterholen, Autos zerkratzen, die Möglichkeiten sind zahlreich.
Um einen Beitrag in die Runde zu werfen und den einen oder die andere zu motivieren und zu eigenen Ideen anzuregen, sind wir losgezogen und haben davon ein kurzes Video gemacht. (Leider sind wir darin nicht so gut, sodass ihr die Farbattacken bei Ziegert und Groth nur live im Stadtbild entdecken könnt).
Für eine dreckige und kreativ-lose Stadt!
Wir sehen uns im Mai bei den Diskussions- und Chaostagen in Berlin!