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Dortmund: Stellungnahme des Sozialen Zentrums Avanti zur Räumung der St. Albertus Magnus Kirche

Graffiti in der geräumten Kirche

Die ehemalige St. Albertus Magnus Kirche, in der Aktivist*innen vor mehr als einer Woche das Soziale Zentrum Avanti gegründet haben, wurde am vergangenen Freitag – einen Tag vor dem Ablauf der offiziellen Duldung – geräumt. Nachdem während eines Angriffs durch Neonazis auf das Zentrum am Samstag, 23. August, ein Gegenstand vom Dach geflogen war, ermittelt die Polizei nun wegen versuchten Mordes. Eine Hundertschaft der Polizei sowie die Mordkommission rückten am frühen Freitagmorgen mit schwerem Gerät in der Enscheder Straße in der Dortmunder Nordstadt an und drangen in das Gebäude ein. Alle anwesenden Aktivist*innen wurden erkennungsdienstlich behandelt, alle erhielten – trotz der Duldung der Katholischen Gemeinde als Eigentümerin des Gebäudes – Platzverweise bis Montag. Drei Personen wurden in Gewahrsam genommen, durften jedoch alle bis zum Nachmittag wieder gehen. Das Zentrum ist nun als Tatort abgesperrt und war mehrere Tage lang versiegelt.

Durch den Vorwurf des versuchten Mordes hat die Polizei fadenscheinige Gründe konstruiert, um sich die Möglichkeit zu verschaffen, in das Gebäude einzudringen und die von der Kirche befristet geduldete Besetzung zu beenden. Die Polizei ist für die Eskalation am Samstag selbst verantwortlich, da sie den Nazis nicht nur eine Kundgebung nahe des besetzten Hauses erlaubte, sondern auch, weil sie dies weder den Medien noch den Besetzer*innen mitgeteilt hatte. Hinzu kommen noch, dass die Polizei die Enscheder Straße nicht absperrte, um einen Angriff der Neonazis auf die Kirche zu verhindern, und die Tatsache, dass die Nazis ohne Begleitung von Polizei vor das Haus ziehen konnten. Die Aktivist*innen im Haus gingen daher von einem faschistischen Angriff auf sie aus. Dortmund hat eine traurige Geschichte neonazistischer Morde vorzuweisen und wir sind froh, dass diese grausame Geschichte an besagtem Samstag nicht fortgeführt wurde. Bei der Polizei kann man sich dafür aber nicht bedanken.

Die Räumung es Avanti zeigt wieder einmal, dass die Dortmunder Polizei sich als eigenständiger politischer Akteur versteht. Vorbei an allen Beteiligten hat sie Fakten geschaffen und die Verhandlungen zur Farce verkommen lassen. Was gelten noch die Worte von Eigentümer*innen und Vermittler*innen, wenn die Polizei nach Belieben ihre Gewaltmittel einsetzt?

Mit ihrem Verhalten hat die Polizei deutlich gemacht, dass sie kein Interesse an Menschen hat, die ihr Leben selbstorganisiert gestalten wollen, und diese lieber massenweise kriminalisiert. Ihre Aussage, sie habe sechs Tage nach dem Steinwurf in einem Haus, in dem sich zwischenzeitlich hunderte Menschen aufgehalten haben, Hinweise auf die Täter gesucht, ist eine reine Schutzbehauptung, die den eigentlichen Zweck des polizeilichen Handelns verdecken soll: die Zerschlagung eines Soziales Zentrums, welches sich innerhalb weniger Tage im Viertel etablierte und auf Zulauf und Unterstützung aus der Nachbarschaft und Umgebung setzen konnte.

Wir lassen uns nicht einschüchtern! Weder von dem Vorgehen der Polizei noch von Angriffen von Nazis. Wir lassen uns nicht spalten! Weder von der in Teilen der Presse stattfindenden Hetzjagd gegen uns noch von Gerede von angeblicher Unterwanderung innerhalb unseres Projektes. Alle von Repression betroffenen Menschen haben unsere volle Solidarität! Dies haben die Aktivist*innen auch am Freitagabend bei einer Solidaritätsdemonstration von der Dortmunder City bis zum Nordmarkt deutlich gemacht. Etwa 350 Menschen beteiligten sich am Protestzug und zeigten Solidarität mit dem Avanti.

Avanti lebt und kämpft! 

via avantizentrum.noblogs.org

Dortmund: Instandbesetzung und Eröffnung des sozialen Zentrums Avanti

Freiheit entsteht aus kämpfender Bewegung

Wir haben die ehemalige St. Albertus Magnus Kirche am 22. August 2014 besetzt. Diese Kirche steht seit ca. 7 Jahren leer. Gründe, in leere Häuser einzuziehen haben wir genug. Leerstand wieder mit Leben zu füllen, sich Räume anzueignen und zu nutzen bietet außerdem die Möglichkeit, das eigene Leben selbstbestimmt(er) zu organisieren und zu leben. Besetzte Häuser können Orte für Utopien sein, können Raum bieten für selbstgestaltetes Wohnen sowie für die Arbeit von Initiativen und Gruppen, für gemeinsames Ausprobieren und Finden bisher unbekannter Probleme und Lösungswege.

Das Recht auf Wohnen durchsetzen

Wir sehen nicht ein, dass in einer Stadt in der über 5000 Menschen keine Wohnung haben gleichzeitig so viele Wohnungen einfach leer stehen, wie hier in der Dortmunder Nordstadt. Viele Menschen schlafen auf Straßen, in Parks, unter Brücken, in Wohnzimmern bei Freund*innen, in Turnhallen, in Flüchtlings- und Notunterkünften oder in viel zu teuren Zimmern.
Eine Wohnung gehört zu der absoluten Lebensgrundlage eines jeden Menschen. Die Praxis dass Andere Wohnraum einfach aufkaufen können und damit tun und lassen können was sie wollen – sei es Luxussanierung, Abriss, Mieterhöhung oder strategischer Leerstand – entbehrt jedweder Logik und jedweder Gerechtigkeit. Niemand sollte einem anderen Menschen Wohnraum nehmen, verweigern oder unmöglich machen können.

Trotz großen Leerstands werden über 600 Menschen jedes Jahr im Auftrag der Eigentümer*innen von der Justiz und im Einvernehmen mit der Stadt Dortmund gewaltsam aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt, sei es aufgrund eines Verzugs nach erhöhten Energiekosten und Nachzahlung, vorgetäuschten Eigenbedarfs seitens der Eigentümer*innen oder der Willkür von Behörden. Entweder die Menschen wohnen fortan noch weiter abseits in der Peripherie, oder bleiben auf der Straße, wenn sie nicht rechtzeitig Wohnraum finden konnten. Wir verstehen daher diese Besetzungen als Angriffe auf die herrschenden Verhältnisse, als Symbol gegen kapitalistische Wohnungspolitik und wollen den Kampf um Häuser mit dem Kampf um ein besseres Leben verbinden.

Die Willkür des Staates und der Eigentümer*innen überwinden

Dieser Stadtteil wird spätestens in den letzten 15 Jahren dem Verfall, dem Leerstand und der Willkür von Investoren überlassen. Viele Wohnungen bleiben aus vielerlei Gründen unvermietet, da sie nur als Spekulationsobjekt dienen oder als Ganzes weiterverkauft werden sollen und sie offensichtlich ohne Mieter*innen attraktiver sind. Dortmund jedoch verschließt die Augen vor den vielen Problemen. Während in den Vororten die Welt scheinbar „in Ordnung“ ist, die Umsätze auf dem Hellweg astronomisch sind und in aufstrebenden Vierteln die Häuser saniert werden und die Preise steigen, verläuft eine klare Trennlinie entlang der Bahntrasse, geteilt in den „reichen“ Süden und den „armen“ Norden.

Die Nordstadt, vor 150 Jahren bereits als Viertel für einkommensschwache Arbeiter*innen sowie Gastarbeiter*innen erdacht und konstruiert, leistet nicht einmal mehr das wozu sie einst gebaut wurde, Wohnraum zu bieten für jene, die dieser Stadt und der Region, einst Wohlstand gebracht haben. Jene die heute vom sogenannten Strukturwandel benachteiligt werden. Auf die Stadt Dortmund und die staatlichen Institutionen können wir nicht bauen, das hat das staatliche Handeln der letzten Jahrzehnte gezeigt. Stattdessen sollten und werden wir als Bewohner*innen auf unsere Fähigkeiten zur Selbstorganisation vertrauen und unsere Leben wieder selbst in die Hände nehmen.

Praktische Solidarität gegen Rassismus und Diskriminierung

Der Willkür der Eigentümer*innen sind vor allem Gäste und Zuwanderer aus Osteuropa ausgeliefert, des Weiteren besteht ein genereller Verdacht gegenüber Migrant*innen und People of Colour. Dieser alltägliche Rassismus und die verfestigten Vorurteile lassen viele Menschen aus Bulgarien und Rumänien hier keine Wohnungen finden, obwohl hier in der Nordstadt viele Wohnungen leer stehen. Vor allem Sinti und Roma sind davon betroffen. Wir meinen jeder Mensch sollte dort leben können und dürfen wo es ihr oder ihm beliebt und nicht aufgrund von Rassismus ausgeschlossen werden können. Diejenigen, denen das Recht auf Wohnraum verwehrt wird, wollen wir ermutigen, sich zu nehmen was ihnen zusteht und den Wohnraum nach den eigenen Vorstellungen zu nutzen. Denn dieser Leerstand ist illegitim und die rassistische Praxis ist nicht tolerierbar.

In einer Welt in der Rassismus und Faschismus wieder auf dem Vormarsch sind ist antifaschistische und antirassistische Bewegung unerlässlich. In einer Stadt wie Dortmund, in der es eine große Szene militanter Neonazis gibt, braucht es diese Bewegungen erst Recht. Solche Bewegungen aber brauchen echte Freiräume, in denen jeder Mensch Schutz finden kann vor Verfolgung und in denen Solidarität praktiziert wird statt Ausgrenzung. In einem Stadtteil, in dem es zudem täglich rassistische Polizeikontrollen und Schikane gibt und nicht selten auch physische Gewalt durch Polizist*innen, wollen wir Anlaufpunkt und Schutzraum sein.

Freiräume für Bewegung

Der neoliberalen Ideologie der Verwertbarkeit aller Lebensbereiche und der Unterordnung aller Menschen unter die unmenschlichen Spielregeln der Profitmaximierung wollen wir solidarische Alternativen entgegensetzen und praktizieren. Unser Freiraum soll ein Ort gegenseitiger Hilfestellung, freien Lernens, freier Gedanken und freier Kunst sein. Wir wollen Küche für Alle bieten, wo jede und jeder Essen bekommt und nur das gibt was er oder sie gerade kann. Wir wollen Umsonstläden einrichten, wo kein Geld benötigt wird um Sachen zu geben oder zu nehmen und. Nicht-kommerzieller Kunst und Kultur soll Raum geboten werden. Wir wollen Bildungsangebote liefern, die sich vor allem an junge Menschen, aber auch an Erwachsene richten. Wir wollen einen offenen Raum bieten, in dem alle jederzeit Schutz vor Kälte und Nässe finden können.

Solche Freiräume können nur als nicht-kommerzielle Projekte funktionieren, kein Profit kann und soll auf Kosten der Menschen gemacht werden. Diese Orte der Begegnung, seien es kulturelle, soziale Zentren oder autonome Zentren brauchen Räume die nicht der Willkür der Eigentümer-Interessen unterworfen sind, die nicht von der Gnade der Stadt oder dem Zahlen utopischer Mietbeträge abhängig sind. Raum ist genug da und wir nehmen uns ihn, denn für uns ist er da.

Wir werden uns den Wohnraum zurückholen, Freiräume erkämpfen und Alternativen leben. Denn in einer gerechten und lebenswerten Welt sind die Häuser für die Menschen da, die in ihnen wohnen.

Quelle mit weiteren Fotos: avantizentrum.noblogs.org