erschienen in der “Wut im Bauch!” – anarchistisches Blatt für die Revolte
Nr. 8 Hamburg/März 2014
Am 7. Januar 2005, also vor mehr als neun Jahren, stirbt der aus Sierra Leone stammende Oury Jalloh in einer Zelle der Dessauer Polizei. Er verbrennt bei lebendigem Leibe, an Händen und Füßen gefesselt, auf einer feuerfesten Matratze. Er wurde, vollkommen offensichtlich, von Polizisten ermordet.
In den folgenden Gerichtsprozessen wird der verantwortliche Bulle zunächst freigesprochen, dann auf öffentlichen Druck hin, zu einer Geldstrafe verurteilt. Ende des letzten Jahres dann ein neues Gutachten – es kommt zu dem Schluss, dass ein an Händen und Füßen gefesselter, vorher komplett durchsuchter Mann sich nicht in einer Gefängniszelle selbst anzünden kann.
Am 9. Dezember 2001 stirbt in Hamburg der 19-jährige Nigerianer Achidi John in Folge eines sogenannten “Brechmitteleinsatzes” – trotz aller ärztlichenWarnungen ein bis dahin beliebtes Mittel der Bullen, um vermeintliche Drogendealer_innen zu drangsalieren. Sein Tod wurde offensichtlich billigend in Kauf genommen. Diese Fälle rassistischer Polizeigewalt mit tödlichem Ausgang sind keine Einzelfälle oder Unfälle – sie sind bittere Konsequenz der Gewalt, die Bullen tagtäglich, auf der ganzen Welt, ständig ausüben. Ob in Griechenland, wo am 8. Dezember 2008 der junge Alexis von Bullen erschossen wurde, in Berlin, wo in der Silvesternacht 2008 Dennis von Polizeikugeln getötet wurde oder in Österreich, wo im Jahre 2009 ein 14-jähriger von einem Polizisten in die Brust geschossen wurde, weil dieser in einen Supermarkt eingestiegen war… sie morden weltweit, ständig und immer im Interesse der herrschenden Ordnung.
Freund und Helfer war die Polizei niemals für jemand anderen als für jene, die von dieser Ordnung profitieren – bewaffnet stehen sie zwischen ihnen und denen, die sich nicht länger mit den miserablen Bedingungen, die diese Gesellschaft für die meisten bedeutet, zufrieden geben wollen. Keine Überraschung also die Ereignisse der letzten Monate – von den rassistischen Kontrollen gegen vermeintliche Migrant_Innen (die es natürlich schon vorher gab und weiter gibt…) zum martialischen Angriff auf eine Demonstration am 21.12.2013 und die folgende faktische Besatzung eines ganzen Stadtteils durch Wiedereinrichtung des Gefahrengebiets… Die Cops haben alle Register gezogen, um sich unbeliebt zu machen. Schon in der Nacht zum 21.12. hatten einige Menschen die Courage, die bekannte Davidwache auf der Reeperbahn anzugreifen – aus einer spontanen, wilden Demo heraus wurden vier Streifenwagen und diverse Scheiben der Wache zerstört. Anschließend flogen noch Steine in die Scheiben der Haspa in der Wohlwillstraße und, um den Rückzug zu sichern, gelangten einige Müllcontainer auf die Straße und wurden angesteckt.
In den Monaten vorher wurde sich immer wieder zu spontanen, unangemeldeten Versammlungen zusammengefunden, gemeinsam durch die Straßen gezogen, mal laut, klatschend, rufend und den Bullen immer einen Schritt voraus, mal zielstrebig, zügig und zerstörerisch, doch immer wild und unkontrollierbar.
Diese wunderbaren Erfahrungen eröffnen Räume – und zeigen, dass die uns umgebende Scheiße nicht unantastbar ist, dass wir uns diese Räume schaffen müssen, um sie uns zu nehmen. Sie zeigen, dass es sich lohnt, Schritte ins Ungewisse zu wagen – und sich dabei von den beengenden Modellen von politischer Repräsentation, von Verwaltung und Bevormundung durch große Organisationen zu trennen.
Umso fremder und merkwürdiger fühlte sich die offiziell angemeldete und vor Gericht durchgesetzte Demo am 21.12. für uns an – witzelnde Spekulationen darüber, wie weit die Bullen die Demo wohl nach dem vorabendlichen Angriff kommen lassen würden machten die Runde. Die Demo verließ schließlich nichtmal den Ort der Auftaktkundgebung – die Bullen stoppten auf, sofort wurden sie mit allem eingedeckt, was sich greifen ließ. Die Bullen drehten stellenweise völlig durch, prügelten in kleinen Gruppen in die Masse, verletzten viele Leute mit Knüppeln und Pfefferspray.
Als einige feststellten, dass vor der Flora nichts mehr zu holen war, sickerten Gruppen auf dem Kessel und griffen im Umfeld Boutiquen, Banken, Bullen, Luxushotels und andere Manifestationen des Kapitalismus an, bis spät in die Nacht dauerten die Auseinandersetzungen.
“the spectacle intended to make us appear dreadful – we intent to be so much worse!” oder “Scheiss Bullen, habt ihr immer noch nicht genug?”
Schon am Folgetag brannte das, was uns schon so lange zum Hals raushängt, und was in den folgenden Wochen Ausmaße annehmen würde, dass einem die Kotze ausgeht – das Medienspektakel, sich zunächst empörend über das “Ausmaß der Gewalt”, später dann darüber spekulierend, wer “angefangen” hätte…
Rechtfertigende Erklärungen auf der einen Seite, Gejammer auf der anderen, allen voran die mal wieder vor Wut schäumenden Bullengewerkschaften. Wenige Tage nach diesem Ausbruch dann eine weitere Meldung: Die Davidwache sei erneut angegriffen worden – hierbei wäre einem Bullen der Kiefer gebrochen worden. Zu den öffentlichen Spekulationen um die Eskalation der Wut am 21.12. gesellte sich nun also noch ein weiterer Faktor – ein schwer verletzter Polizist. Hier offenbarte sich mal wieder eindeutig, in wessen Wind die Fahne der Medienlandschaft weht… Selbstverständlich wurden die Lügen der Bullen vollständig übernommen, jedes noch so absurde Detail ihrer Geschichte wurde wiedergegeben.
Die Entwicklung der Berichterstattung um die Ereignisse des Dezembers 2013/Januars 2014 zeigt uns klar, dass die etablierten Zeitungen und anderen Medien immer das erzählen, was die Leser_innenschaft hören will – auf ihre Neutralität oder Unabhängigkeit zu zählen ist Selbstbetrug. Es handelt sich hier schlicht um wirtschaftliche Unternehmen, die immer im Widerspruch zu unseren Ideen stehen werden. Mit ihnen zu kooperieren bedeutet, auf das Machtspiel einzusteigen, bedeutet den ersten Schritt zur Integration in das politische Spektakel – welches immer nach der Pfeife der Autoritäten tanzt.
Jede irgendwelchen selbsternannten Repräsentant_innen abgerungene Rechtfertigung ist ein Schlag ins Gesicht für die, die den gewalttätigen Frieden dieser Verhältnisse zu brechen suchen. Das nach dem von den Bullen erfunden Angriff auf die Davidwache am 28.12. eingerichtete Gefahrengebiet, das den Bullen ermöglichte, alle Menschen in Altona, St Pauli und dem Schanzenviertel ungehindert zu schikanieren, traf auf großen Widerspruch. Dieser äusserte sich in einer Fortsetzung der Dynamik der letzten Monate – unangemeldete, spontane Demos im ganzen Gebiet, stundenlanges Katz-und-Maus-Spiel, gesprühte und gerufene Parolen, Flyer wurden verteilt, Plakate verklebt… Der Versuch, die Viertel unter polizeiliche Kontrolle zu bringen, wurde durch kontinuierlichen Widerstand ad absurdum geführt.
Wer hierbei jedoch den sogenannten “polizeilichen Ausnahmezustand” als eine Abweichung von einer sonst friedlichen Normalität bezeichnet, geht der Propaganda der Autoritäten vollständig auf den Leim – die Einrichtung von Gefahrengebieten ist nur eine von hunderten Facetten der täglichen Unterdrückung.
Auch die Verkleinerung und schließlich die Aufhebung des Gefahrengebiets ist nichts als ein Versuch, Entwicklungen, die das reibungslose Funktionieren der kapitalistischen Realität beeinträchtigen, zu befrieden. Nachdem sie dies mit der Besatzung nicht geschafft haben, versuchen sie jetzt, durch Kooperation, durch erstickende Umarmung und heuchlerische Propaganda der “Gewaltlosigkeit” den Normalzustand wieder herzustellen. Diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun.
Wir werden weiter unkontrollierbar, mit List und Leidenschaft der erstickenden Realität dieser Verhältnisse unsere Idee von einer Welt ohne Herrschaft, soziale Kontrolle und Unterdrückung entgegensetzen. Friede mit dieser Welt bedeutet Krieg gegen uns selbst.
“Was nützt der Aufstand der Anständigen,” stand auf einer Hauswand “Was wir hier brauchen ist ein anständiger Aufstand!”