[Italien] Zusammmen für das Susatal

Die NO TAV Bewegung ist, wegen der Entschlossenheit mit der sie in den Kampf gegen den Bau der Hochgeschwindigkeitslinie Turin-Lyon vorangebracht hat, nunmehr Ziel einer beispiellosen repressiven und gerichtlichen Feindseligkeit.

Heute zählt man ungefähr 120 Verfahren mit mehr als 600 betroffenen Angeklagten und erstinstanzlich Verurteilten (eigentlich ±450 Personen, da gegen einige mehrfach vorgegangen wird). Nach, von der Staatsanwaltschaft gut informierten, journalistischen Quellen, wird sich diese Zahl bald erhöhen und die Tausend überschreiten. Die erste Verhaftung gab es 2005, als das NO TAV-‚Präsidium‘ in Venaus von Bullen angegriffen wurde und es zu mehreren Verletzten in der Bewegung kam. Ein junger Turiner Anarchist war angeklagt worden einen DIGOS (politische Polizei)-Beamten während einer BürgerInnen-Demo in der Stadt verletzt zu haben. Der Prozess brachte einen Freispruch. Andere Zeiten, wo die Strafverfolgung noch „normal“ verlief. Darauf folgten Anzeigen wegen diverser Ereignisse, vor allem im Kontext der Strassenblockaden, die im Tal als Antwort auf die Angriffe der Regierung von der Bewegung beharrlich vorangebracht wurden.

Was sich anfänglich als normale Routine gerichtlicher Aktivität zur Verfolgung eventueller Straftaten vorstellte, bzw. als sozusagen „von Amts wegen“, hat sich – seitens der Turiner Staatsanwaltschaft unter Leitung des Ex-Staatsanwaltes Caselli – zur regelrechten Offensive mit allen Mitteln verwandelt, die nun auch an die Grenzen des StGB stösst.

Gegen den repressiven Angriff
MIT DER VAL DI SUSA

Der erste Leckerbissen dieser harten Linie der Staatsanwaltschaft hatte man am 9. September 2011 mit der Verhaftung von Nina und Marianna wegen einer Demo an der Baustelle; sie wurden zwei Wochen lang im Turiner Knast Le Vallette gefangen gehalten um dann etliche Monate durch Hausarrest und verschiedenen Massnahmen eingeschränkt, zu verbringen.

Nina wurde letztlich freigesprochen, Marianna zu 8 Monaten verurteilt. Abgesehen von der Geringfügigkeit (na ja…) des Urteils, war es bezeichnend wie die PD (Demokratische Partei), zum ersten Mal, gegen die NO TAV Bewegung zu Felde zog.

Giancarlo Caselli, in Befolgung der Erwartungen der Bezugspartei, warf sein ganzes, im Kampf gegen die Mafia erworbenes, Prestige – ob verdient oder nicht, ist nicht wichtig – in die Waagschale; die traurige Figur verlangte und erhielt, U-Haft und sein erstes Urteil wegen eines Steinwurfs. In dieser ersten Phase, im Gegensatz zu dem was er später tun wird, exponierte sich der rechtschaffene Staatsanwalt nicht in den Medien. Er beschränkte sich auf den Auftritt im Saal während des Prozesses um den Richtern ein eindeutiges Signal zu geben: der Einsatz ist hoch und man soll sich vor hohen Strafen nicht scheuen. Wieso dieser plötzliche neue Kurs der Repression, der aus Verhaftungen und Knast für strafrechtlich unbedeutende Episoden bestand?

Man verstand es erst am Anfang des Folgejahres.

Im Morgengrauen des 26.Januar 2012 wurden an verschiedenen Orten Italiens 25 Menschen (darunter der Schreibende) verhaftet. Ermittelt wurde insgesamt gegen 48, wegen der Zwischenfälle der vorangegangenen Tage des 27. Juni und 3. Juli.

Die Tatsachen waren bekannt. Die Regierung musste damals, wegen der Finanzierungen durch die EU, mit der Einrichtung einer Baustelle schnell vorwärtskommen, während die Bewegung sich voll gegen die Erreichung dieses Zieles einsetzte.

HARTE LINIE
Von diesem Zeitpunkt an verfolgte die Regierung die harte Linie bzw. eine äusserst harte.

Das NO TAV-‚Präsidium‘ in der Nähe der Parzelle, an der die Baustelle vorgesehen war, hatte sich selbst -dem Ortsnamen nach- als Freie Republik Maddalena ausgerufen. Es wurde hart und unter Einsatz massloser Kräfte, vor allem mit einer masslosen Menge Tränengas, angegriffen. Nur wer den Tag des 27.Juni in Chiomonte erlebt hat, kann die enorme Menge und Konzentration an CS-Gasen einschätzen, die auf die Leute der Blockade niederprasselte. Als moderne Version der mit Schrot geladenen Kanonen des Bava Beccaris, Giftgas anstelle Schrots. Auf diesen im grossen Stil geführten chemischen Angriffs (es war wohl der grösste Tränengaseinsatz der Geschichte der italienischen Republik) waren einige Steinwürfe die einzige Antwort. Dasselbe geschah in der folgenden Woche am 3.Juli, als eine riesige Protestdemo organisiert wurde. Einige NO TAV-Gruppen gingen auf die, hastig zum Schutze des usurpierten Geländes gezogene, Gitter und Zäune zum Überfall über. Gitter, die von innen von tausenden Bullen bewacht wurden, welche wieder mit einem krass unverhältnismässigen Einsatz von Tränengas antworteten. Nur dank der Grosszügigkeit des Netzwerks Anonymous, das dem Turiner Polizeihauptquartier einen Dienstrapport entwendete und allen zur Verfügung stellte, wissen wir, dass nur an jenem Tag sage und schreibe 4.357 Granaten verschossen wurden. Eine eindrückliche Zahl, sogar im Vergleich zu jener des G8 in Genua 2001, wo dieses hochgiftige Gas –die internationalen Konventionen untersagen dessen Einsatz im Krieg- zum ersten Mal massiv eingesetzt worden war; damals wurden ± 6.200 verschossen, aber auf einem weit grösserem Gebiet und innerhalb von zwei Tagen.

Wie 1998 gegen die sabaudischen Kanonen, verteidigten sich die DemoteilnehmerInnen auch an diesem Tag mit Steinwürfen, mit einfachen Steinen gegen Schilde, Helme, Glasvisiere und Schutzpolsterungen der Uniformen.

Die Schäden welche die Ordnungskräften erlittenen, waren lächerlich, wie alle feststellen konnten, die deren Aussagen im Prozess verfolgten (etwa hundert hatten Zivilklagen eingereicht). Sie wurden aber massiv ausgenutzt um das Medienbild des gewalttätigen NO TAV zu konstruieren und die repressive Eskalation loszutreten.

Nach diesen beiden Tagen war in den Medien nur von der Gewalt der Bewegung die Rede. Es gab extra Regierungsspitzentreffen und Analysen der Geheimdienste. Minister und Politiker brüllten um die Wette nach immer derberen Einsätzen auf dem Valsusa-Territorium und nach immer härteren Massnahmen gegen die AktivistInnen der Bewegung.

Das Terrain, um dem richtigen Mann, dem Staatsanwalt Caselli, zu erlauben eine neue, hinterhältigere Offensive zu starten, wurde vorbereitet, die der Gerichte und Handschellen. Obwohl Caselli in den Tagen nach den Januar-Verhaftungen in allen Tonlagen in Zeitungen und TVs versucht hatte, die Lauterkeit und Rechtmässigkeit seiner Massnahmen zu rechtfertigen, wurde das Werk des Chef-Staatsanwaltes nicht nur von Bewegungsfreundlichen kritisiert, sondern auch von Juristen und Magistraten. Seine harte Linie (nun von den zwei karrieregeilen Staatsanwälten Padalino und Rinaudo geerbt) ist mehr als schlicht: nie loslassen, jeden Straftatbestand maximal überbewerten, die ganze Bewegung auch für strafrechtlich Irrelevantes mit Anzeigen überschwemmen, absurde Strafen verlangen, um dann wohl im Vergleich zum Antrag reduzierte Urteile zu erhalten, die aber im Verhältnis zum Anklagepunkt doch sehr hoch ausfallen. Es bedeutet auch eine maximale Zuwendung für Zivilklagen, um einen hohen Schadenersatz zu erhalten, der für die Einzelnen existenzbedrohender ist als eine Freiheitsstrafe, wobei die „Geschädigten“ den Umfang des Schadens übertrieben ausweiten.

Natürlich ist die Haltung zur Gegenseite maximal günstig; für jede Anzeige gegen Bullen und auf der Baustelle tätigen Firmen wird sofortige Einstellung verlangt.

UNENDLICHER PROZESS
Diese Offensive trägt ihre Früchte. Es vergeht keine Woche in der das Turiner Gericht keinen Prozess gegen die NO TAV-Bewegung führt, manchmal sind es mehrere gleichzeitig. Die Prozesse handeln von lächerlichen Dingen wie dem Bau einer illegalen Hütte für ein ‚Präsidium‘, Anklagen wegen Gewalttätigkeit für das Anbringen eines Transparentes am Balkon eines TAV-Unternehmens oder wegen Bedrohung, weil ein Journalist (der mit der DIGOS telefonierte) von einer Demo verwiesen wurde. Für angebliche Statements, die von einer Zeitung verbreitet wurden, werden Prozesse wegen Beleidigung der Ordnungskräfte geführt. Sie überlegen sich sogar Stalking-Anzeigen gegen jene, die vor den Hotels protestieren, die die Besatzungstruppen beherbergen.

Nicht mal das Jugendgericht ruht, wo Kinder wegen Flugblattverbreitung antraben müssen. Auch Eltern, deren Kinder (sogar Kleinkinder) auf den NO TAV-Demos fotografiert wurden, werden mit Strafmassnahmen bedroht.

Das wäre der niederschwellige Krieg.

Dann gibt es den echten, der Jahre an Knast bedeuten kann. Er beginnt mit dem Prozess wegen der Freien Republik der Maddalena. Die Angeklagten sind nun alle auf freiem Fuss, einige nach etwa 20 Tagen, andere nach Monaten. Einige wurden nur für den Prozess freigelassen, als die U-Haft-Fristen fast ausgeschöpft waren. Mit der Zeit ist es nach und nach zu den heutigen 53 Angeklagten gekommen.

Der Prozess wurde in den Bunker-Saal des Knastes Le Vallette verlegt. Ein Saal, der extra für die Militanten der bewaffneten Organisationen der sogenannten „bleiernen Jahre“ gebaut und dann für den Mega-Prozess gegen die `Ndrangheta -Mafia-Neapel- im Piemont, Minotauro genannt, gebraucht wurde. Offensichtlich im Bemühen darum, um zu dem Medienbild einer höchsten Gemeingefährlichkeit der NO TAV-Bewegung beizutragen.

Der nun über ein Jahr lang dauernde Prozess wird eindrücklich rasant, in wöchentlicher Kadenz und mit einer 6-8 stündigen Anhörung durchgepeitscht (die 1x/Woche-Anhörung wurde nur nach einhelligen Protest der VerteidigerInnen gegen die vorher 2x wöchentlichen durchgesetzt).

Eine der Anomalien der gerichtlichen Repression gegen die Bewegung ist gerade die Eile, mit der die Verhandlungen festgelegt und abgehalten werden. Die so oft kritisierten „langen Zeiten der italienischen Justiz“ gelten für die NO TAV nicht. Keine Chance auf Terminverfall. Die Maschine läuft wie geschmiert auf einer Vorfahrtbahn: man kann passend sagen, dass die Staatsanwaltschaft und das Gericht Turin nur zur Unterdrückung des sozialen Dissenses auf vollen Touren in Vollzeit tätig ist.

Eine Justiz zu Diensten der Digos. Effektiv, denn gerade die Digos Turin ist die wahre Regisseurin der Prozesse: sie stellt die Choreographie massiver Truppen und strenger Kontrollen (bei der letzten Anhörung wurde sogar ein Zeuge der Verteidigung gefilzt, von der Partei M5S [dt. Fünf Sterne Bewegung] und Senator, was verfassungswidrig wäre), sie konstruiert Ermittlungsverfahren und – über die Staatsanwaltschaft- bestimmt die Länge der U-Haft usw., was nicht wie laut StGB je nach realem Bedarf sondern auf Grund der Dossiers über die persönlichen Eigenschaften der Angeklagten, die von der DIGOS selbst konstruiert werden, bestimmt wird. Wo nicht so sehr die Summe der Vergehen (sogenannte Wiederholung) zählt, sondern vielmehr der Einsatz im sozialen Kampf. Diese „Polizeiwachen“ Sicht des Feindes -damit ist jedEr betroffen, der/die sich dem Bestehenden entgegensetzt- wird von der Staatsanwaltschaft übernommen und durchdringt die Säle des Turiner Justizpalastes total.

In diese Logik reiht sich das letzte Urteil eines Kurz-Prozesses ein, der in diesen Tagen gegen zwei Junge gemacht wurde, die in der Nähe von Chiomonte mit dem Auto voller Feuerwerksraketen und Böllern angehalten wurden: 2Jahre und 2 Monate ohne Bewährung. In Erwartung der Berufung verbleiben sie im Hausarrest. Wenn auch plausibel ist, dass die Petarden zum Einsatz gegen den Baustellenbereich gedacht waren, so bleibt jedoch die Absurdität, dass sie lediglich für den Besitz und den Transport von Feuerwerk zu mehr als zwei Jahren verurteilt wurden. Eine kaum durch die von der Staatsanwaltschaft verlangten 6 Jahre gelinderte Absurdität: als unsinnige Anträge um danach schwere Strafen als grosszügig erscheinen zu lassen.

Charakteristisch für dieses Klima am Gericht von Turin ist die Führung des Prozesses gegen die 53, wo als Zivilklage sage und schreibe 3 Minister (Inneres, Verteidigung, Wirtschaft) und verschiedene Polizeigewerkschaften zugelassen wurden. Der Präsident hat unerhörte Anhörungsregeln auferlegt: Unmöglichkeit für die Verteidigungen die, unter Geheimhaltung gesetzten Namen der Anführer der Ordnungskräfte zu erfahren, die in den entsprechenden Tagen im Einsatz waren, Verbot für die Gegenbefragung Fragen über Argumente zu stellen, die nicht schon von der Staatsanwaltschaft geprüft wurden, Beschränkung der Fragen zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugen. Es ist ganz klar, dass unter solchen Bedingungen die Arbeit der Verteidigungen ungemein erschwert und konditioniert ist. Und auch die Rechte der Angeklagten, wie jenes, dass man das Wort ergreifen kann, werden andauernd mit Füssen getreten. Aber dieser Prozess, den die Staatsanwaltschaft schnell abschliessen will, um weitere Urteile ihrem Medaillenschrank hinzufügen zu können, ist bloss der erste Schritt im neuen Kurs.

REPRESSION: NEUE GRENZE
Die neue Grenze der Repression ist die der Terrorismusanklage gegen 3 junge Männer und eine junge Frau, die (auf Grund von Stimmenerkennung von vor Ort abgehörten Telefongesprächen) wegen einer improvisierten Abenddemo bei der Baustelle verhaftet wurden. Ein Kompressor hatte nach Feuerwerksraketenbeschuss Feuer gefangen.

Niemanden geschah etwas.

Allen ist die enorme Unverhältnismässigkeit der Anklage mehr als klar. Aber das schert die Staatsanwaltschaft Turin keinen Deut, die mit bedeutenden logischen Purzelbäumen zu dieser Anklage kommt und dazu alle gesetzgeberischen Hilfsmittel bemüht, die von den letzten Regierungen eingesetzt wurden.

Zuerst mal diese Farce der Bezeichnung der Baustelle für eine Tunnel-Probebohrung (der letztlich, nach erfolgtem Bau, als Dienstleistungstunnel dienen soll) als „Zone nationaler geostrategischer Bedeutung“ um den Ort einer Militärbasis gleichzustellen. Dann haben wir den 270sexties, ein Winkelparagräphchen zum berüchtigten §270 StGB. Ausgeheckt nach den Bomben von Madrid 2004, die die spanische Regierung dazu brachten, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen, besagt es :“ Es werden solche Verhaltensweisen als zu terroristischen Zwecken betrachtet, die ihrem Wesen oder Kontext nach einem Land schweren Schaden zufügen können […] oder öffentliche Institutionen oder eine internationale Organisation zwingen können eine Handlung auszuführen oder sich der Ausführung irgendeiner Handlung zu enthalten“.

Wie man bemerken kann, nur durch eine grossartige logische Übung ist es möglich, das Werfen von Böllern in eine Baustelle ins Szenarium zu zwängen, das vom 270sexties beschrieben wird, aber -wie immer- jedes freiheitstötende- und einschränkende Gesetz, das auf einem Notstands-Hype angenommen wurde, bleibt dann für ewig im Arsenal der Staatsanwaltschaften, bereit zum Gebrauch nicht etwa gegen den drohenden internationalen Terrorismus, sondern zur Unterdrückung der sozialen Kämpfe. Die Ungewissheit der Norm erlaubt ihre Anwendung auf jeden Zusammenhang, wo sich der Dissens und die Opposition den von Oben getroffenen Entscheidungen entgegenstellen.

Das ist der wahre Einsatz. Klar führt jeder Kampf potentiell jemandem „schweren Schaden“ zu und klar ist das Ziel aller Kämpfe jemanden „zu zwingen irgendeine Handlung auszuführen oder zu unterlassen“.

Nun hat sich die parlamentarische Demokratie mit der Ankunft der Einheitspartei der breiten Abkommen auch ihrer klassischen Form Regierung-Opposition entledigt; als Ausdrücke von divergenten und entgegengesetzten Interessen erleben wir immer mehr eine Diktatur, die sich hinter verbündeten Machtgruppen versteckt, die -jenseits der formalen Riten: Wahlen und parlamentarisches Theater- irreversible Entscheidungen treffen, welche von den davon Ausgeschlossenen absolut nicht in Frage gestellt werden dürfen.

Es wird, allerhöchstens, ein Ausdruck von rein platonischem Dissens toleriert, der auf keinen Fall konkret in Aktion, Richtung Veränderung treten darf. Denn jede solche Aktion könnte als Verhalten „zu terroristischen Zwecken“ eingestuft werden.

Darum ist dieser Prozess, der am nächsten 14.Mai gegen Chiara, Niccolò, Claudio und Mattia beginnt bzw. begonnen hat nicht nur für die NO TAV-Bewegung äusserst wichtig, sondern für alle Bewegungen in Italien die auf sozialer Ebene agieren. Es geht nicht nur um die Freiheit der 4 Jungen sondern um die Freiheit aller.

VERSUCHSLABOR
Denn die Valsusa wird zum Experimentierfeld für die neuen repressiven Strategien der Zukunft. Nicht zufällig hat der Schriftsteller Erri De Luca, der wegen Aufwiegelung zum Verbrechen angeklagt ist, weil er die Sabotage der Baustelle durch NO TAV als legitim bezeichnete, die Turiner Magistratur als „experimentelle“ bezeichnet.

Weiterer, nicht sekundärer Aspekt der neuen repressiven Grenzen ist jene des Schadenersatzes. Alberto Perino, historischer Exponent der Bewegung und zwei NO TAV-Gemeindebehörden sind im Zivilprozess zur Bezahlung von 220.000€ Entschädigung an die LTF (italo-französische Gesellschaft beim Tunnelbau) verurteilt worden, weil sie mit anderen hunderten Menschen ein Grundstück blockiert haben, wo eine Untersuchung gemacht werden sollte. Die wundervolle Antwort der Bewegung war eine Geldsammlung von über 300.000€. Doch die Gefahr lauert weiter. Kein Zusammenhang könnte je auf die Länge einer solchen Offensive standhalten. Man nimmt an, dass der Prozess gegen die 53 mit einer Verurteilung von 1 Mio€ Schadenersatz enden kann, was alle Angeklagten ihre Wohnungen oder Häuser kosten könnte (falls Eigentümer), die Ersparnisse (wenn auf einem Bankkonto) und lebenslang 1/5 des Lohnes (wenn angestellt). Ein repressiver Aspekt, den man nicht unterschätzen darf und der einfach auf weitere Zusammenhänge exportierbar ist. Im Gegenteil, scheinbar sind solche Massnahmen schon gegen städtische Transportangestellte getroffen worden, die in den „geschützten“ Zeiträumen trotzdem streikten.

Ein weiterer unterscheidender und singulärer Aspekt der Staatsanwaltschaft Turin ist der strafende und missbräuchliche Charakter, den die U-Haft usw. immer annimmt. Nach Gesetz ist jeglicher Angeklagte bis zur definitiven Verurteilung als unschuldig zu betrachten und die U-Haft sollte sich auf den wirklichen Bedarf beschränken und nie eine Strafe voraus nehmen. Überdies sind die NO TAV-Verhafteten (durch die Isolation oder das Kommunikationsverbot) fast immer der Rechte jedex Gefangenen beraubt, als erstes das der Kommunikation nach aussen.

Die Medien beschreiben die Valsusa als Leuchtturm und Trainingslager für die Gewalttätigen des ganzen Landes. Also gut, die Valsusa ist ein Leuchtturm, aber nur für die Ausdauer und Entschlossenheit mit der sie seit 2 Jahrzehnten den Kampf voran bringt.

Für die Regierung, die Finanzgruppen, die Baulobbies und Mafia, für den Polizei- und Gerichtsapparat ist die Valsusa ein Stachel im Fleisch. Eine Bewegung, die sich nicht beugt, nicht ergibt, sich nicht von der institutionellen Politik kontrollieren lässt und sich mit der libertären Praxis der Vollversammlung bewegt, die sich offen zur extralegalen Kampfpraxis bekennt. Eine Bewegung, die sich nicht teilen und niemanden zurück lässt. Aus diesen Gründen ist, wie die Mafia-verbundene Ministerin Rosanna Cancellieri sagte, „die NO TAV-Bewegung die Mutter aller Besorgnisse“.

Wir werden sie sicher nicht in Ruhe lassen, sie müssen sich weiter sorgen. […] Wir werden Chiara, Niccolò, Claudio und Mattia nicht alleine lassen.

Indem wir sie verteidigen, kämpfen wir für die Freiheit aller.

Der wahre Terrorismus ist jener der Staatsanwaltschaft, die -mit diesen Systemen- vermeint die Bewegung zu terrorisieren.

Sie werden uns nicht aufhalten.

Terrorist ist der Staat.

Tobia Imperato

Aus der anarchistischen Zeitschrift „Germinal“ #119, Mai 14 (germinalonline.org)

Üb. mc, Bostadel

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