Griechenland: Chronik der letzten Angriffe auf MigrantInnen und einige erste Gedanken zu den jüngsten Ereignissen in Patras

23. Januar 2012

Die alte Fabrik von Peiraiki-Patraiki (früher größter Textilproduzent Griechenlands) ist ein riesiges Gelände verlassener Gebäude direkt gegenüber vom letzten Eingang/Ausgang des neuen Hafens von Patras. In den letzten paar Monaten siedelten sich auf diesem Gelände ein paar hundert MigrantInnen aus Afghanistan, dem Sudan und aus weiteren Ländern, wie Algerien, Somalia und Marokko an. Es sind prekäre “Behausungen” für Menschen, die tagtäglich nach einem Weg suchen, Griechenland über den Hafen zu verlassen, um ein neues Leben zu beginnen.

Es ist nicht nur ein tagtäglicher Traum und eine tägliche Sehnsucht, dieses Land zu verlassen sondern ein konstanter Kampf ums Überleben; ein täglicher Kampf, mit allem, was er nach sich zieht. LKWs überfahren ImmigrantInnen und töten sie, ImmigrantInnen suchen Zuflucht auf den LKWs und sterben, oder sterben sogar vor Kälte; sie sind den Elementen ausgesetzt und erfrieren zu Tode. Daneben gibt es auch immer noch die Polizei, die sie schlägt, foltert und erniedrigt.

In den letzten 20 Tagen während der Weihnachtsferien standen wir, nach den sich wiederholenden Vorfällen, die die Bedingungen der Misere und Barbarei, denen ihr Leben in Patras, als eine Grenze, als eine Passage für ihren Eintritt nach Europa, unterliegt, an der Seite der MigrantInnen. Im Klartext:

20. Dezember 2011

Ein 27-jähriger Afghane erlitt schwere Kopfverletzungen, nachdem die Bullen ihn in Rio (einem Teil der Stadt Patras) jagten, und er in seinen Bemühungen ihnen auszuweichen, aus dem zweiten Stock eines Gebäudes auf einer Baustelle sprang. Trotzdem diese Bullen ihn fallen sahen, ließen sie den 27-jährigen dort verletzt liegen. Nach einer Weile riefen einige AnwohnerInnen einen Krankenwagen. Im Krankenhaus verweigerten ihm die ÄrztInnen die medizinische Versorgung (weil er keine Papiere besaß). Als sie feststellten, dass er Hirnblutungen hatte, operierten sie ihn dann. Nach der Operation wurde er für 15 Tage ruhig gestellt. Jetzt liegt er in der Neurologischen Klinik des Hauptkrankenhauses von Patras, sein Zustand ist stabil.

Patras, 23.12.201123. Dezember 2011

Aus Protest gegen den Vorfall mit dem 27-jährigen und ihre allgemeinen Lebensbedingungen, veranstalteten MigrantInnen, die in Peiraiki-Patraiki wohnen, mit Unterstützung solidarischer Leute, eine Demonstration ins Stadtzentrum und zurück.

27. Dezember 2011

Zwei jugendliche afghanische MigrantInnen, die am Tag zuvor verschwunden waren, kehrten mit Kopf- und Beinverletzungen in die alte heruntergekommene Fabrik zurück, nachdem sie von der Küstenwache im neuen Hafen ernsthaft verprügelt wurden.

3. Januar 2012

Drei MigrantInnen (im Alter zwischen 15 und 19), die gerade erst in Peiraiki-Patraiki angekommen waren und keine Unterkunft finden konnten, fanden im Fahrhaus eines alten LKW, innerhalb der Fabrik Unterschlupf. Sie machten ein kleines Feuer in einer Metallbox, um sich warm zu halten, wurden aber in dem Fahrzeug eingeschlossen. Das führte dazu, dass einer von ihnen an Sauerstoffmangel starb und die anderen beiden mit schweren Gesundheitsproblemen ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Die örtlichen Medien verzerrten diesen Vorfall total und berichteten, dass der Migrant im Bereich des Hafens, in einem LKW, dessen Reiseziel Italien war, tot aufgefunden wurde.

4. Januar 2012

Am Tag, nachdem der Migrant in dem LKW verstarb, betraten in der Morgendämmerung über zehn Wichser von der DIAS (Motorradbulleneinheit) die Fabrik. Sie weckten, diejenigen, die dort schliefen mit Tritten, fingen an ihre Papiere zu zerreißen und zu verbrennen, stahlen ihr Geld und ihre Handys, beschimpften und erniedrigten sie.

5. Januar 2012

Polizeikräfte stürmten die alte heruntergekommene Fabrik. Sie verhafteten über 50 MigrantInnen. Danach sammelten die Bullen die Privatgegenstände der MigrantInnen zusammen und verbrannten sie unter Assistenz der OPLA S.A. (Hafenbehörde von Patras – OPLA, die Organisation, die den Hafen von Patras verwaltet) und wahrscheinlich auch mithilfe der Stadtverwaltung von Patras. Sie trugen insbesondere Bekleidung, Schuhe, Decken und alles andere, was sie finden konnten und was den MigrantInnen gehörte in Haufen zusammen, um sie ins Feuer oder in den Müll zu werfen.

Laut Polizeiberichten, wurden 25 der Verhafteten wieder freigelassen, die anderen wurden in Abschiebeeinrichtungen der regionalen Polizeiabteilungen überstellt (in Pyrgos, Aigio, etc.). Während die Feuer an drei verschiedenen Plätzen, an denen die Bullen sie entzündeten, brannten und das Hab und Gut der MigrantInnen zerstörten, versiegelten Leute von der OPLA die Fabrik, um es den MigrantInnen schwer zu machen, dort zu bleiben.

Die Bullen verschwanden nach der Ankunft von sich mit den MigrantInnen solidarisch erklärenden Menschen. Die Feuerwehr traf drei bis vier Stunden später ein. Als erste Antwort auf diese unterdrückerische Operation gegen MigrantInnen fand noch am selben Nachmittag eine Demonstration ins Stadtzentrum Patras statt, die von AnarchistInnen, Antiautoritären und weiteren solidarischen Menschen gemacht wurde.

Uns ist es sehr wichtig, die besonderen Rollen, die die OPLA, die Polizei, die Küstenwache und die Massenmedien in dieser repressiven Operation gegen die MigrantInnen von Peiraiki-Patraiki spielten, hervorzuheben. Wir möchten da mit OPLA, dem Besitzer des Geländes, beginnen, der die Pogrome gegen MigrantInnen rechtfertigt, indem er sich mit zukünftiger Profitmacherei auf dem Fabrikgelände, entschuldigt. OPLA trägt die Verantwortung für die Ereignisse vom 5. Januar sowie für jegliche Operationen, die auf diesem spezifischen Gelände in Zukunft noch passieren mögen. Für diese Organisation ist der Hafen eine rote Zone und eine Grenze der Festung Europas, die mit intensiven Kontrollen (durch Sicherheitspersonal und Hafenpolizei) bewacht werden muss, damit der Hafen von Patras nicht das Bild eines modernen europäischen Hafens verfehlt. Aus diesen Gründen agiert die OPLA gegen die Anwesenheit der MigrantInnen egal, ob außerhalb oder innerhalb des Hafens, oder in den Gebäuden von Peiraiki-Patraiki, denn ihre Präsenz so dicht am Eingang hat Auswirkungen auf beides; die Glaubwürdigkeit des Passagier- und Warentransports und das Image einer potentiellen Touristengegend. Die Aufgabe der OPLA ist, die MigrantInnen aus diesem Bereich verschwinden zu lassen. Das kann durch die Zusammenarbeit mit der Küstenwache und der Polizei, die verantwortlich sind für Jahre der Erniedrigung, Schläge, Folter und Tod von MigrantInnen, erreicht werden.

Die Art und Weise, wie die Zwangsmechanismen des Gesetzes arbeiten, sind seit Jahren weitgehend bekannt. Sie sind mit einem Honorar am Handel mit den MigrantInnen beteiligt und gleichzeitig geben sie vor, ihre institutionelle Rolle der Ordnungs- und Gesetzeshüter zu erfüllen. Sie bedienen sich typischer Mafiamethoden, lassen einerseits, wenn es vorteilhaft für ihre Handelsvereinbarungen ist, einige durch, während sie andererseits MigrantInnen ernsthaft verprügeln, wenn diese den Hafen nicht auf die „richtige“ Art und Weise erreichen. Für uns sind die institutionelle Rolle und die Mafiarolle zwei Seiten derselben Medaille. Sie bestätigen ihre Existenz als eine Institution, die die Bedingungen der Unterdrückung und Ausbeutung aufrechterhält. Im Grunde tun sie genau dass, wenn sie MigrantInnen und jedEn, der/die Widerstand leistet, zusammenschlagen, während sie die Bosse und ihre Strukturen beschützen. Und genau das tun sie auch, wenn sie MigrantInnen foltern, ihre Köpfe ins frierende Meer zwingen, ihnen ihr Bargeld und ihre Handys stehlen, ihr Land und ihren Gott beleidigen, ihre Schuhe, Bekleidung und Decken verbrennen…

Natürlich sollten wir bei all diesen Dingen auch niemals die Massenmedien vergessen. Vom Tod des Migranten im LKW, der beim Versuch sich aufzuwärmen an Sauerstoffmangel starb, bis zum Pogrom, der am 5. Januar stattfand, die Massenmedien hielten die Fakten zurück oder verzerrten sie. Es sind dieselben Institutionen, deren Rhetorik auf der Bemühung beruht, die Angst vor MigrantInnen in der Gesellschaft zu schüren und als Lösung mehr Polizei vorschlägt. Während sie versuchen, ihre Reden moralisch zu legitimieren, erinnern sie von Zeit zu Zeit an die schrecklichen Lebensbedingungen und die „Tragödie dieser Menschen“, um ihr Tun als Repressionsmechanismus unter einem humanitären Deckmantel zu verstecken.

Wir sind solidarisch mit MigrantInnen, nicht aus Gründen der Barmherzigkeit, sondern weil uns bewusst ist, dass in einer Gesellschaft, die in Klassen strukturiert ist, komplett mit autoritären Verbindungen, die einzige Möglichkeit für die Unterdrückten darin besteht, Gesellschaften des Kampfes zu erschaffen, die frei von Hierarchie und nationalen Aufspaltungen sind. In unseren Augen ist der Feind nicht die Migration sondern sind es Kriege, ökonomische Plünderung, das Ausbluten ganzer Länder und Bevölkerungen und letztendlich der Kapitalismus – dass heißt, all das, was Migration erst hervorruft…

BULLEN, KÜSTENWACHE, HAFENBEHÖRDE, MASSENMEDIEN,
WIR WERDEN IMMER GEGEN EUCH KÄMPFEN.
HÄNDE WEG VON DEN MIGRANTINNEN!

SOLIDARITÄT IST UNSERE WAFFE!

Kollektive Ausführung der Rede und Aktion in der Perasma (Passage)
von der besetzten Maragopouleio, Gournari Staße 102, Patras

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