Die Faschisten bilden einen Stoßtrupp der ukrainischen Proteste, jedoch sind diese weitaus weniger bedeutsam als von bürgerlichen Massenmedien (der Ukraine, Anm. des Übersetzers) berichtet wird. Denn die Massenmedien sind es ohnehin gewohnt, nur von sensationellen Ereignissen zu berichten.
Die Situation in Charkiw ist wegen der umfassenden Protestwellen in der Ukraine schwer einzuschätzen. Wir sind der Meinung, dass der linke Widerstand zu schnell nachgelassen hat. Die Linken haben sehr schnell kampflos aufgegeben. Sie übergaben den Rechten gesamte Städte, ohne einen kleinsten Versuch zu unternehmen, für die tausenden Menschen auf den Straßen zu kämpfen. Die meisten Demonstrierenden gingen zum ersten Mal auf die Straße, um gegen die Verhältnisse zu protestieren.
Insgesamt wird die sogenannte “Revolution” in Kiew von Nazis und Liberalen gelenkt. Vor ungefähr 2 – 2,5 Monaten haben wir angefangen, die Menschen für die Euromaidan-Proteste zu agitieren. Anfangs wollten wir uns nicht in den Ablauf der Ereignisse einmischen. Ende November 2013 wurden noch keinerlei Anforderungen erhoben, außer Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen.
Die Situation eskalierte nach der Absage der ukrainischen Regierung, das Abkommen zu unterzeichnen und nach der folgenden Rücktrittsforderung seitens der Demonstrierenden. Zu Beginn der Massenproteste wurden die Demonstranten von den örtlichen Milizen [Polizeieinheiten “Беркутом”-“Berkut”] gewaltsam auseinander getrieben. Den Massenprotesten folgte die Stürmung einer Präsidialverwaltung durch Nazis des “rechten Sektors” [Правого сектора].
Zum Trotz der radikalen Geschehnisse in der Hauptstadt, blieb die Situation in anderen ukrainischen Städten unverändert, auch in Charkiw. Der lokale “Maidan-Protest” ist ausschließlich eine friedliche Versammlung und bleibt es bis zum heutigen Tag. Wir haben keine Nazisymbolik. Es gibt weder die “Swoboda” noch den “rechten Sektor” in Charkiw. Ja, es gibt faschistischen “Ultras” in Charkiw, aber sie sind nicht die Herrscher über die aktuelle Lage. Wir handeln aktiver und sind besser organisiert, außerdem sind wir besser in die Organisationsstruktur des Charkiw Maidan integriert. (Allerdings sind die Faschisten rein quantitativ zahlreicher und sie verfügen teils über eine militärische Ausbildung).
– Die friedlichen Veranstaltungen lösen bei den Rechten keinerlei Interesse aus.
– Wir werden nicht daran gehindert unseren Banner zum Thema “Soziales” aufzuhängen sowie Reden zu halten.
– Wir wurden ebensowenig daran gehindert, bei der Organisation von Maidan mitzuwirken.
– Allmählich übernehmen wir einige Teile der organisatorischen Arbeit, was uns geholfen hat, das Vertrauen der Organisatoren und Teilnehmenden des Maidan zu gewinnen. Im Unterschied zum Kiew Maidan kann man die Struktur von Charkiw Maidan als demokratisch und transparent beschreiben.
Die Ereignisse in Kiew zeigen uns deutlich wozu die Rechten fähig sind. Wir denken nicht, dass die Lage der Dinge sich dort verschlimmern könnte. Mehr als 20 Jahre haben die Nazis sich auf diesen Moment vorbereitet. Der Kern der “Nationalen Revolution”- des Westukrainischen Nationalismus, lässt sich in seinen Anfängen in die Zeit der Perestrojka zurückführen.
Ich persönlich bin der Meinung, dass die linken Organisationen den Fehler gemacht haben, wenig Wert auf die praktische Kampfausbildung zu legen. AnarchistInnen aus Charkiw haben das Problem der Aussichtlosigkeit der friedlichen Entwicklung der libertären Bewegung sowie einer neutralen Haltung gegenüber dem Faschismus vernachlässigt. Die antifaschistische Bewegung ist sehr subkulturell geworden, was den Verfall der Zivilgesellschaft widerspiegelt. Ich habe den Eindruck, dass die Wandlung zu rechten und konservativen Ideen sich auch nicht ohne Hilfe von Arsenal [Fussballklub aus Kiew] vollzieht.
Im letzten Jahr verdoppelten wir unsere Kräfte zur Entwicklung der Libertären Bewegung in Charkiw. Dies hat uns geholfen, die feindlichen Angriffe auf den Charkiw Maidan am 19. Januar auszuhalten. Die Provokationen seitens der örtlichen Nazis haben aufgehört, nachdem wir die Attacke vor den Augen vieler Teilnehmenden des Charkiw Maidan abwehren konnten. Das Kräfteverhältnis war hier einer der vielen entscheidenden Faktoren.
Mein Ratschlag an euch: trainiert Nah- bzw. Straßenkampf. Das Erlernen bestimmter Fähigkeiten hilft sehr bei Entwicklung einer libertären Bewegung. Ein Szenario der Entwicklung eines autoritären Regimes in der Ukraine ist nach dem Verabschieden verfassungswidriger Gesetze sehr wahrscheinlich. Es wurde ein Verbot auf das Recht der friedlichen Versammlung sowie die strafrechtliche Verfolgung des „Extremismus“ verabschiedet.
Der Aufbau eines totalitären Polizeistaates überwiegt momentan allen Befürchtungen, die Maidan-Proteste könnten von der rechten oder linken Seite dominiert werden. Am 16. Januar begriffen alle Teilnehmer, dass die Regierungspartei ihr Hauptfeind ist, denn diese ist weitaus gefährlicher als die linken oder rechten Kräfte.
Als Nächstes müssen wir die politischen, kulturellen und sozialen Besonderheiten der Ukraine beachten. Die Ukraine war nie ein einheitliches Land. Die West- und Ost-Ukraine unterscheiden sich sehr stark voneinander. Die Unterschiede zwischen östlicher und westlicher Ukraine bestehen in der Sprache, Geschichte und der wirtschaftlichen Lage. Der Osten des Landes hat eine größere Bevölkerungsdichte. Die wichtigsten Industrien und Produktionsstätten sind im östlichenTeil der Ukraine angesiedelt. Die BewohnerInnen des Ostens hassen den Westukrainischen Nationalismus. Die Fußballhooligans und die AuswandererInnen aus der Westukraine sind die Ausnahme der Regel; der Schein trügt, dass es sehr viel von ihnen gibt, aber in Wirklichkeit sind es viel weniger als die BefürworterInnen der Pro-Russland Politik.
Es war ein enormer Fehler seitens der Nationalisten und anderer rechter Bewegungen, den BewohnerInnen der östlichen Ukraine eine Sympathie mit der OUN (Organisation der Ukrainischen Nationalisten) aufzuzwingen. Auf diese Weise hat die aktuelle Regierungspartei die Möglichkeit, der Ukraine aus der politischen Krise herauszuhelfen.
Ein weiterer Grund für den Erfolg der rechten Kräfte ist das Desinteresse und die Teilnahmslosigkeit der linken GegnerInnen. Die Mehrheit der BewohnerInnen der Ostukraine ist gleichgültig und unternimmt keine Handlungen gegen die BefürworterInnen der Nationalen Revolution. Einerseits sind sie GegnerInnen der aktuellen Regierung und keine/r von ihnen sympathisiert mit der Partei der Regionen.
Man sollte jedoch den banalen Pragmatismus nicht unterschätzen. Die Mehrheit der Ostukrainer würde lieber die Partei der Regionen wählen als unter einem Dach mit Faschisten zu leben. Vor diesem Hintergrund finde ich persönlich, dass unsere politische Lage in Charkiw viel besser als die in Kiew ist. Die Teilnehmer des Maidan in Charkiw verstehen, dass die gegenseitige Unterstützung wichtiger ist als je zuvor. (Die Teilnahme der AntifaschistInnen in der Libertären Bewegung ist sehr entscheidend. Es gibt eine Unzufriedenheit seitens der Demonstrierenden mit der Beteiligung der Faschisten).
Es ist die beste Zeit, unsere libertären Ideen voranzutreiben. Die Gesellschaft ist mobilisiert. Die Menschen sind vor die Entscheidung gestellt, mit welchem politischen Lager sie in der aktuellen Lage sympathisieren sollen. Wie uns bereits die Geschichte gezeigt hat, halten politische Krisen in der Ukraine nicht sehr lange an. Damit wollen wir sagen, dass wir wirklich die Hilfe von außerhalb benötigen. Es gibt Aussichten auf einen tatsächlichen Wandel. Es ist möglich, dass eine echte Revolution der Beginn einer linken Renaissance in der West Ukraine ist.
Das Reden ist kein Weg der Revolution. Es ist viel interessanter, eine Revolution zu machen.
PS: Hier folgt die Bitte um Hilfe, einige benötigte Gegenstände wie Lautsprecher, Helme etc. zur Verfügung zu stellen.