Auf keinen Fall bedeutet der Sturz des autoritären Regimes von Janukowitsch für uns das Ende unseres Kampfes. Neue DiktatorInnen beeilen sich den Platz der „Partei der Regionen“ einzunehmen. Sie werden nicht zögern, sich nicht nur auf deutlich geschwächte Sicherheitsbehörden zu verlassen, sondern auch auf ultrarechte Militante. Das Regime von Polizei und strafrechtlicher Willkür verdiente zweifellos seinen Sturz. Es droht aber eine Zeit neuen Terrors, der sich ideologisch begründet.
Im Moment konzentriert sich die primäre Macht in den Händen der Oppositionspartei „Batkiwschtschyna“ („Vaterland“). Sie hat es geschafft einen wesentlichen Teil der regierenden Klasse zu versammeln. Ihre Führerin, die kürzlich aus dem Gefängnis entlassene Julia Timoschenko, hat offensichtlich Präsidentschaftsambitionen. Allerdings sollte daran erinnert werden, dass, als ihr Urteil verkündet wurde, sich für sie in Kiew nur 5000 Menschen auf einer Solidaritätsdemonstration versammelten und alle Massendemos dieser Partei auf Leute, die sie extra für ihr Erscheinen bezahlen mussten, angewiesen waren. Praktisch hat weder die Vaterlandspartei noch die Partei der Regionen ernsthafte Graswurzelunterstützung oder eine Basis von AktivistInnen, aber dafür ausreichend große materielle Ressourcen.
Um an der Macht zu bleiben, wird das Team von Julia Timoschenko die Ultrarechten besänftigen müssen, vor allem den „Rechten Sektor“ In dieser Hinsicht gab es bereits zwei Versuche. Faschisten, die nicht im Zusammenhang mit dem Maidan inhaftiert wurden, durften das Gefängnis verlassen, nachdem ein entsprechendes Gesetz im Parlament erlassen wurde. Der neue Innenminister Arsen Avakov hat versprochen, dass er VertreterInnen des Rechten Sektors in seinem Ministerium berücksichtigen wird. Jetzt können wir die Bullen aus gutem Grund „Nazis“ nennen. Aber solch ein stürmisches und unkontrolliertes Element an der Macht zu sehen, macht der Vaterlandspartei eindeutig Angst. Also wird sie versuchen, die Ultrarechte an den Haken zu kriegen, nicht nur indem sie sie kauft sondern auch indem sie sie mit Blut anbindet. Der Rechte Sektor träumt davon alte Rechnungen mit subkulturellen AntifaschistInnen zu begleichen. So wird ihm mit Bedacht der Bereich der Sicherheitsdienste zugestanden oder es werden ihm Polizeidossiers mit persönlichen Daten zugespielt. Vermutlich werden die Behörden bald ihre Augen bei Gewalt gegen die Linke oder rassistischen Angriffen verschließen. Aber sie werden es in ein paar Monaten widerrufen, wenn sie eine Ausrede brauchen, um ihrer unbequemen Bündnispartner Herr zu werden.
Der Rechte Sektor spielt sein eigenes Spiel und macht das schon lange genug. Heute erklärt sein Führer Dmytro Jarosch den Einstieg in die Macht auf einem sehr hohen Level, als Vize des Ministers für den National- und Sicherheitsrats. Gleichzeitig berichtet der Journalist Mustafa Nayem, dass Jarosch laut der in der Präsidialverwaltung gefundenen Aufnahmen am 20. Februar mit Janukowitsch oder seinen VertreterInnen kommunizierte. Sogar schon vorher, am 28. Januar wurden die Verhandlungen zwischen dem Rechten Sektor und Sicherheitsbehörden/Innenministerium bekannt gegeben. Einen Tag später entschlüpfte VertreterInnen der Rechten diese Tatsache, sie erklärten “den Wunsch, in den Verhandlungsprozess einzutreten”. Vermutlich haben solche Verhandlungen tatsächlich sehr viel früher begonnen, vor allem wenn man den Hintergrund aller Organisationen betrachtet, die Teil des rechten Sektors waren. „Tryzub“ („Dreizack“), SNA, und „Bely Molot“ („Weißer Hammer“) haben bereits seit den 90’ern und 2000’ern auf verschiedene Arten aktiv mit PolitikerInnen beider Systemparteien und mit den Sicherheitsbehörden interagiert.
Die Partei „Swoboda“ („Freiheit“) ist eine Konkurrenz für Vaterlandspartei und Rechten Sektor gleichermaßen. Letzterer will aktiv auf die Wählerschaft der Swoboda einwirken und bis zur Wahl wird die Situation zwischen beiden politischen Kräften eskalieren. Jetzt hat die Swoboda einen Stuhl in der Staatsanwaltschaft. Es ist symbolisch, weil die Bullen und die StaatsanwältInnen eng zusammenarbeiten und sich gleichzeitig hassen. Ihre Interessen sind sehr ähnlich, es kommt trotzdem zeitweise zu Konflikten. Das ist die Art der Beziehung, die zwischen Swoboda und dem Rechten Sektor existiert.
Die Sicherheitsbehörde untersteht Nalivaitschenko, der diesen Posten schon einmal unter Präsident Juschtschenko hatte. Der Chef dieser Behörde ist nicht nur berühmt für die Strafverfolgung Josef Stalins für den Holodomor nach seinem Tod (was wie ein Treppenwitz ausschaut), sondern auch für den Kampf gegen die „durch den Kreml gesponserte terroristische Organisation Antifa“. Nachdem er seinen Posten verloren hatte, arbeitete Nalivaitschenko mit der Ultrarechten (einschließlich des späteren Swoboda Aktivisten Jewhen Karas, der unter dem Pseudonym „Vortex“ bekannt ist) und versuchte eine Bewegung „Otpor“ aufzubauen. Aber dieses Projekt war nicht erfolgreich.
Gleichzeitig reifen in den Regionen, die, obwohl sie Janukowitsch abgeschworen haben, sich noch nicht der neuen Regierung gefügt haben, eigene faschistische Stimmungen heran. VertreterInnen der Partei der Regionen, die es verpasst hatten, sich der parlamentarischen Mehrheit anzuschließen, bilden Blöcke mit pro-russischen Ultrarechten, StalinistInnen, ImperialistInnen, KosakInnen und orthodoxen FanatikerInnen und alle zusammen kämpfen gegen die häufig imaginären „Banderisten“, währenddessen es zu Razzien gegen JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen kommt. Das braune Zentrum ist mit mindestens ebenso braunen Regionen konfrontiert. Der einzige Unterschied ist die historische Tradition, auf die sich berufen wird. Alle werden sich auf ihren „Kampf um traditionelle Werte“ konzentrieren, appellieren an Sozialpartnerschaft und kürzen gleichzeitig soziale Aufwendungen.
Wir schlagen uns im Konflikt zwischen Ukrainischen und Russischen NationalistInnen auf keine Seite. Aber viele, die gegen das Regime von Janukowitsch protestiert haben, werden mit beiden unzufrieden sein; mit der habgierigen Politik der Vaterlandspartei, die die Taschen der ArbeiterInnen leeren wird und der „Nationalen Revolution“ des Rechten Sektors und Swoboda, die versuchen die Überbleibsel der Menschenrechte und Freiheiten weg zu nehmen. Es sind diese Menschen, die desinteressiert der Ultrarechten und der Systemopposition kritisch gegenüber stehen, die „verärgerten Teile des Maidans“, die sich schon bald den Reihen der Linken und AnarchistInnen anschließen könnten.
AWU Kiew (Autonome ArbeiterInnen Union), 24.2.2014