Athen: Briefe von Beschuldigten nach der Brandstiftung an einer Bank und dem Tod von drei Angestellten in Athen

Am 5. Mai 2010 fing in der Athener Innenstadt während einer großen Demo zum Generalstreik eine Bank Feuer, nachdem diese mit Molotowcocktails beworfen wurde. In der Bank befanden sich Angestellte, die von ihrem Boss zur Arbeit trotz des Streiks gezwungen wurden. Durch die Folge des Feuers starben drei von ihnen.

Monate später wurden mehrere anarchistische Genoss_innen festgenommen, unter dem Vorwurf für die Brandstiftung und den Tod der Angestellten der Bank verantwortlich zu sein. Hier die Übersetzung von Briefen, in den sie ihre Situation beschreiben.

Text von N.L. in Bezug auf seine Kriminalisierung für die Ereignisse vom 5. Mai 2010

In diesen Tagen – keineswegs zufällig im Hinblick auf Verstreichen von genau zwei Jahren seit dem tragischen Tod von drei Angestellten der Marfin – wird von den Polizei- und Justizbehörden erneut die unbegründete und ungerechte Verfolgung gegen mich – und gegen zwei weitere anarchistische Genossen – im Zusammenhang mit den Ereignissen auf der Demo vom 5. Mai wieder aufgenommen.

Am Freitag den 29.4.11, nach einer organisierten Operation der Kriminalpolizei, wurde ich in die GADA gebracht, ohne dass mir der Grund für meine vorläufige Festnahme mitgeteilt wurde. Nach 2 Stunden wurde meine Wohnung in Gegenwart eines Staatsanwaltes durchsucht, während es in der Gegend von Dutzenden Polizisten und Reportern wimmelte. Mein Gefühl der Wut wurde von dem der Überraschung abgelöst, als ich darüber informiert wurde, dass meine vorläufige Festnahme im Zusammenhang mit den Ereignissen des 5. Mai 2010 steht. Die langjährige Kriminalisierung gegen mich durch die Polizei und ihre „Papageien“ hatte soeben ihren Höhepunkt erreicht. Bereits am folgenden Tag wurde ich in Veröffentlichungen der Zeitungen Vima und Ta Nea, von den Polizeireportern Lambropoulos und Nesfyge-Vardelis als Anführer der Gruppe, die die Ianos-Buchhandlung angegriffen hatte, „fotografiert“.

Die polizeilich-politischen Gehirne, die nach 2 Jahren Untersuchung bewusst entscheiden, mich in diesen Fall zu verwickeln – meine Verleumdung und Verhöhnung bezweckend – wissen sehr gut, nachdem sie 90 Kameras und 70 Augenzeugen befragt haben, dass ich an keinem Angriff auf die Ianos-Buchhandlung beteiligt war. Meine konsequente und dynamische Präsenz in den gesellschaftlichen Kämpfen über all die Jahre scheint sie zu stören, deswegen bin ich seit Jahren ein Ziel der Kriminalpolizei. Außerdem hatten ich bereits am 5.5.2005 mit einem Text von mir in der Eleftherotypia meine enge Beschattung durch die Kriminalpolizei angezeigt und deren Versuch, mich im Fahren vom Motorrad zu stürzen. Seitdem erlebe ich immer wieder das selbe Theater, mal, indem ich unter permanenter Beschattung stehe, andermals, indem ich von den bezahlten Gehaltsträgern der Kripo als Täter für was immer ihnen in den Kopf kommt „fotografiert“ werde, wieder andere Male mit vorläufigen Festnahme-Entführungen, wie am 25.10.2010 vor dem Beginn der großen antikapitalistischen Demo, am 28.10.1011 vor der Parade im Stadtteil Holargos und am 12.2.2012 vor der riesigen Demonstration gegen das Memorandum Nummer 2, wo sie, weil sie mich nicht entführen konnten, meine Genossin A.K. entführten und sie bis 22.30 in der GADA festhielten.

Natürlich war ich bei der Demonstration am 5. Mai dabei. Natürlich habe ich meine Stimme und meine Kraft mit den hunderttausenden Demonstranten vereint, die mit Wut in Richtung Parlament zogen. Natürlich fahre ich seitdem bis heute fort, an allen gesellschaftlichen-klassen-Kämpfen teilzunehmen. Von den Demos gegen die fortlaufenden antisozialen Maßnahmen, den Ausdrücken von Solidarität für gefangene Aktivisten bis zu Kämpfen in den Stadtvierteln als Mitglied der Volksversammlung Holargos-Papagou.

Die Frage, die sich stellt, ist warum all dies in dieser bestimmten Zeit geschieht und auf was sie zielen. Nun, all dies spielt in einer Zeit, in der das Kapital und seine Diener einen nie dagewesenen Angriff auf die Unterdrückten durchführen. Arbeiterrechte, die mit blutigen Kämpfen errungen wurden, werden abgeschafft. Die Arbeitslosen haben die Millionengrenze überschritten. Der auf jede Weise vorgenommene Aderlass der Lohnabhängigen und ihre Terrorisierung, damit sie sich der Erpressung der Bosse beugen, ist nunmehr rohe Realität. Der Widerstand aber entwickelt sich, wächst und vereint Tag für Tag die Ausgebeuteten. Das ist es, was der Staat versucht zu unterbinden, das gesamte Spektrum der Repressionsmethoden nutzend. Prügel, Tränengas, „Besen“-Operationen, Beschattung, die Veröffentlichung von Fotos von Demonstranten und Massenfestnahmen.

Ich habe nichts mit dem zu tun, was mit die Kriminalpolizei anhängen will. Ich könnte auf keinen Fall irgend etwas mit Aktionen zu tun haben, die beflecken könnten und die meinen politischen Zusammenhang und allgemein die Bewegung zurück werfen, und schon gar nicht mit Aktionen, die sich gegen Lohnabhängige wenden. Die staatlichen Verfahrensweisen werden den gesellschaftlichen Widerstand gegen die moderne Junta nicht unterbinden, sie werden das kämpfende Volk nicht einschüchtern.

Ich fordere, dass meine sowie die Verfolgung gegen die anderen beiden anarchistischen Genossen, die im gleichen Fall verfolgt werden, eingestellt wird.

N.L. 27.3.2012

Konstrukt? Ein Wort reicht nicht…

Die Kripo fabriziert einen Brief, den sie dann an sich selbst schickt; in dem nennt der „anonyme Informant“ nicht nur mich und zwei andere Genossen, sondern gibt darüber hinaus auch noch unsere Handynummern und Adressen an! Aufgrund dieses Briefes wird ein Verfahren eingeleitet und wir werden am 29. April 2011 vorläufig festgenommen.

Doch das Spiel ist sehr schlecht gestellt. Trotz der Durchsuchung unserer Wohnungen und des Spießrutenlaufs, wirken die Fotografien selbst und die Widersprüche in den Akten lächerlich machend für die Justizbehörden. In ihrer Verzweiflung über die Mängel der fabrizierten Beweise, frieren die Untersuchungsbehörden den Fall für ein Jahr ein, während die Massenmedien nachdrücklich verkünden, dass die Untersuchung sich auf verschiedene Personen konzentriert, wo sie doch für 48 Stunden auf unsere Kosten triumphierten.

Ein Jahr später, während „ganz zufällig“ genau zwei Jahre seit den Ereignissen des 5. Mai vergangen sind, wird der Fall wieder aufgewärmt, die Kriminalisierung der selben Personen wiederholt.

Das oben Angeführte kann nicht unabhängig von den generellen Verhältnissen untersucht werden.

Die letzten drei Jahre gewalttätiger Abwertung der Lebensqualität haben mit sich einen großen Teil der gesellschaftlichen Illusionen gerissen, die die letzten beiden Jahrzehnte von Bedeutung waren. Gegen den zerfallenden Gesellschaftsvertrag wappnet sich der Staat sowohl mit materiellen also auch mit ideologischen Konditionen. Gegenüber also den tausenden trägen „Staatsangehörigen“, die nunmehr mit dem kollektiven Widerstand liebäugeln, der an Tagen wie dem 12. Februar die staatlichen Verbote missachtet, reichen weder die tausenden Bullen, noch die repressive Ausrüstung von Millionen.

Etwa so neigt der 5. Mai dazu, in einen düsteren Gedenktag des Systems verwandelt zu werden. Der Staat, Arm in Arm mit Medien und Intellektuellen, versucht das Gewaltmonopol zurück zu erobern, der gesellschaftlichen Gegengewalt das Gewicht von 3 Toten in Rechnung stellend.

Die Botschaft ist klar. Jeder Demonstrant in einer militanten Demo ist ein möglicher Mörder, einfach nur, weil er auf der Straße war.

Und die Kriminalisierung von uns Dreien treibt dies einen Schritt weiter. Sie kriminalisiert gleichzeitig die anarchistische Bewegung, exakt wegen derer langjährigen Entscheidung, an der Seite der gesellschaftlichen Klassenkämpfe zu stehen, ohne dabei eine Loyalitätserklärung für die bürgerlichen Gesetze abzugeben, den vollständigen Bruch mit dem System vorschlagend und gleichzeitig in diese Richtung hin agierend. Sie wird kriminalisiert, weil besonders heute die Verschmähung der Politik und der Logiken von Vertretung und Vermittlung die anarchistischen Projekte auf die Lippen und in die Aktionen von Tausenden legen, die Anarchisten zu Verbündeten in einem breiten Spektrum an Kämpfen macht, die die traditionellen Engen überwinden.

Und es ist unsere Stellung in den Kämpfen, die den Staat dazu treibt anzugreifen, indem wir kriminalisiert werden.

Die Überwachung vor unseren Wohnungen, die provozierenden vorläufigen Festnahmen, die rauschenden Telefone, die Märchenerzählungen der Medien über uns sind nichts anderes, als das, was in stärkerem oder schwächerem Ausmaß hunderte Genossen erleben.

Es sind aber vor allem Bilder aus der Zukunft tausender anderer Kämpfender, die, während der Zirkel der Repression erweitert wird, sich als Ziel wieder finden werden, unabhängig von ihrer verbindenden oder nicht politischen Identität.

Wenn es etwas gibt, das gegen die Zukunft, die für uns bereit gehalten wird, eine Antwort geben kann, dann ist das nicht eine „starke“ und „treffende“ Haltung, die sich weigert, in das Spiel der Dialektik einzutreten, in ihre eigene Überzeugtheit eingeschlossen, sondern die Akzeptanz der Vielfältigkeit der Widerstände selbst, der vielen möglichen Haltungen und Antworten, die sich kreuzen. Wir schulden vor allem uns selbst, die Trennungen, die die Kämpfenden zersplittern zu überwinden und den Gegenangriff anzutreten!

Keinen Schritt zurück gegenüber dem Konstrukt des Staates!

G.P. 26.3.2012

Text des vorläufig festgenommenen Th.S. vom 29.4.2011

Am 29.4.2011 als ich am Morgen das Haus verließ, kam ein Mann rennend auf mich zu und danach noch einer, der eine Kapuze aus seinem Pullover trug, zusammen mit einer Frau, die ihre Gesichtszüge verborgen hatte und zwangen mich auf dem Bürgersteig aufrecht, mit dem Rücken zu ihren Gesichtern zu stehen, wobei sie versuchten, mich zu beruhigen, indem sie mir sagen, dass sie mir nichts tun würden, dass sie von der Kripo seien (wobei nur einer mir seinen Polizeiausweis zeigte) und dass ich ihnen mit dem Auto folgen solle, dass nach 5 Minuten kam, in den 6. Stock der GADA, wegen irgendeines Falls, was nur wenig Zeit in Anspruch nehmen würde. Sie nahmen mir mein Mobiltelefon weg, das angeschaltet war, ebenso persönliche Schriftstücke und den Rucksack, den ich bei mir hatte.

Im 6. Stock der Kripo, wo sie mich hinbrachten, zwangen sie mich allein und mit Handschellen auf dem Rücken in 5 Metern Abstand von der Wand zu sitzen. Sie öffneten meine Tasche und durchsuchten sie sorgfältig vor meinen Augen und führten eine Körperkontrolle durch. Ich blieb dort für eine geraume Zeit und mir wurde von irgendeinem Polizeioffizier der 2. Kripo-Abteilung (logischerweise war diese Abteilung für meinen Verbleib dort verantwortlich), dass ich „wegen einiger Vorkommnisse“ vorläufig festgenommen wäre und zu warten hätte.

Nachdem etwa 4 Stunden vergangen waren, sagten sie mir, dass meine Wohnung durchsucht werden müsse, in meiner und der Anwesenheit eines Staatsanwalts, die Durchsuchung fand statt, wobei ich die ganze Zeit mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt blieb. Bei der Durchsuchung vor allem meines Zimmers, aber auch das meines Mitbewohners, beschlagnahmten sie einen Computer, eine Videokamera, eine Kappe und verschiedene meiner Klamotten, wobei sie Büchern und Broschüren mit politischem Inhalt sowie persönlichen Aufzeichnungen besondere Aufmerksamkeit schenkten.

Danach und nachdem sich mich zurück zur Kripo und in den selben Stock gebracht hatten, sagten sie mir ich sollte ihnen folgen, unbekannt wohin, bis wir schließlich im 11. Stock (Antiterrorabteilung) ankamen, ohne dass sie mir den Grund nannten. Ich schaffte es aus dem, was sie sagten, etwas von einer „Gegenüberstellung“ heraus zu hören. Dort brachten sie mich in einen besonders ausgestalteten Raum, der der Gegenüberstellung mit „Zeugen“ diente.

Man befahl mir aufrecht zu stehen, zuerst mit einem von der Kripo neben mir und danach allein, mein Profil nach rechts und nach links drehend. Dann kam irgendein Höherer von der Kripo, gab mir die Kappe, die sich beschlagnahmt hatten und befahl mir, sie zu tragen und das sogar auf verschiedene Arten und Weisen! Die ganze Zeit über hörte ich Stimmen von außerhalb des Raums und von einigen, die auf dem Stockwerk angekommen und wahrscheinlich als „Zeugen“ gekommen waren, um mein Gesicht wieder zu erkennen.

Nachdem diese Prozedur vorüber war, brachten sie mich auf den alten Stock zurück, wiesen mich wieder an, mich an die selbe Stelle zu setzen, wo ich die meisten Stunden verbrachte, auf die selbe Weise, diesmal ohne Handschellen und den Blick immer zur Wand. Auf meine ständigen Fragen an die Vorgesetzten in Bezug auf die Kommunikation mit einem Verwandten oder einem Rechtsanwalt bekam ich ablehnende Antworten oder man sagte mir, dass ich später kommunizieren könnte.

Nach 10 Stunden Verbleib am selben Ort verkündete man mir, dass ich in 10 Minuten gehen könne, wobei sie mir eine Vorladung für die Durchführung einer Voruntersuchung am 5.5.2011 gaben, ein Datum, was völlig zufällig auf das Datum der großen Antimemorandums-Demonstration und der tragischen Geschehnisse in der Marfin-Bank fiel, wo vor einem Jahr drei Menschen ihr Leben verloren. Die Vorladung ist vom Staatsanwalt am Gericht für Vergehen in Athen und betrifft den Bruch von 7 Artikeln des Strafgesetzbuches, darunter auch solche, die als Verbrechen eingestuft werden.

Am selben Tag geschahen weitere 4 vorläufige Festnahmen von Genossen durch die Kripo und Durchsuchungen ihrer Wohnungen. Vier von uns Festgenommenen bekamen eine Vorladung für eine Voruntersuchung in Bezug auf die Ereignisse vom 5. Mai 2010 bei der Streikdemo. Es ist kein Zufall, dass wir alle für den 5. und 6. Mai zur Kripo vorgeladen werden. Ich denke, dass Massenmedien und die GADA ein weiteres Mal ein Klima der Terrorhysterie schaffen wollen. Ein weiteres Mal Verfolgung und Verleumdung von Menschen, die sich politisch in der Anarchistischen-Antiautoritären Szene bewegen, so wie es die Medien am Tag der Festnahme gemacht hatten, wo sie von Verhaftungen und Schuldigen für die Brandstiftung in der Marfin-Bank sprachen.

Natürlich hätte ich nicht an so etwas teilnehmen können. Meine Würde als Mensch aber auch als politisches Wesen erlaubt mir so etwas nicht. Ich glaube an den Sturz des Systems aber nicht an den Gebrauch von Gewalt als Selbstzweck. Ich glaube an einen Klassenkampf zwischen Sklaven und Bossen, an eine andere Gesellschaft, Freiheit, Klassenlos, Antiautoritär und Selbstorganisiert, die sich von jeder Bedeutung von Sklaverei, Ausbeutung und Unterdrückung losgelöst hat. Deswegen hat auch meine Vorladung durch die „Herren“ Untersuchungsbeamten der Kripo in Bezug auf die Ereignisse beim Streik im Mai vergangenen Jahres die Kriminalisierung einer bestimmten Szene und bestimmter Menschen zum Ziel und ihr Grund ist politisch. Sie stören sie und sie wollen politische Regungen und widerständige Stimmen unterbinden, die für eine freie Gesellschaft kämpfen.

WIR WERDEN UNS NICHT TERRORISIEREN LASSEN,
WIR WERDEN IHRE VERFAHRENSWEISEN NICHT FÜRCHTEN

WIDERSTAND-SOLIDARITÄT-WÜRDE

STAAT UND MASSENMEDIEN SIND DIE EINZIGE TERRORISTEN

Der vorläufig festgenommene Th.S.

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