“Wenn ein Gefängnisaufstand beginnt, werden selbst die, die die Regeln der Gesellschaft akzeptieren, von der edlen Versuchung der Freiheit wachgerufen; wenn die Wände der Gefängnisse von dem Feuer oder den Rebell_innen niedergerissen werden, werfen wir ihre Hände von unseren Schultern und identifizieren den Feind.”
Anmerkung der Redaktion: Diese Worte haben – in ihrem Eifer – nicht die Absicht, die Gefangenen des bolivianischen Staates unrecht zu behandeln, sondern sie beschreiben einfach die Ereignisse, die in den Knästen hier stattfanden. Das Echo unserer anarchistischen Intervention wird jene erreichen, die in den Sklavenunterkünften des Staates eingesperrt sind.
Massenaufstände in der bolivianischen Knästen begannen vor einem Jahr und riefen zum Rüchtritt des Direktors des Strafvollzugs – Ramiro Llanos – auf. Die Aufständischen forderten ein Ende des Verzugs von Gerechtigkeit, eine ‘menschenwürdige’ Behandlung und den Transport zu Anhörungen. Ausländische Gefangene forderten, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden und jede_r forderte eine Erhöhung der täglichen Nahrungsaufwendungen [prediario]. Neben den Protesten wurde ein Abkommen nicht umgesetzt, das im Februar 2013 zwischen den Gefangenen in San Pedro (La Paz) und dem Strafvollzugsystem unterzeichnet wurde, was den Rückgang bzw. die Einstellung der Riots mit sich brachte und für einen Zeitraum von drei Monaten für eine Übereinstimmung bzgl. all der vereinbarten Punkte sorgte. Ramiro Llanos dementierte die Existenz eines solchen Dokuments und bis heute wurden die Forderungen der Gefangenen nicht umgesetzt.
Der Staat plant, neue Regeln im Strafvollzug anzuwenden, die die härtere Bedingungen für Gefangene und Besucher_innen aufdrückt. Sie befehlen den systematischen Transfer von Gefangenen aus San Pedro in andere Knästen im Panoptikum-Stil, die weit entfernt sind von der Stadt La Paz. Sie haben vor, ab dem 17. Juli neue Gefangene aufzunehmen und verkündeten die Schließung diesen Knast als eine repressive Maßnahme gegen die anhaltenden Proteste, die in der Strafanstalt von La Paz aufkamen. Die Riots häufen sich und der Staat beabsichtigt, sie über den Transfer in weiter entfernte Knäste aufzulösen. Der Transfer von den Insass_innen von San Pedro [die oftmals mit ihren Familien drin leben] wird mehr Isolation verursachen aufgrund der Entfernung der Knäste, wohin sie gesendet werden sollen. Dies wird bedeuten, dass ihre Familien größere Hindernisse auf sich nehmen müssen, um sie zu besuchen, da 80% der Gefangenen und ihre Familien arm sind.
Zusammenfassung der 2013-Riots
Am 17. Januar wurde Llanos (der Direktor des Strafvollzugsystems) von den Gefangenen in San Pedro als Geisel genommen als eine Reaktion auf die dauerhaften Drohungen, sie in andere Knäste zu verfrachten, wenn sie mobilisieren oder Forderungen stellen. Die repressiven Kräfte stellten sich den Gefangenen entgegen, um ihn [Llanos] zu retten. Llanos rettete sich schließlich selbst dank einiger Gefangenendeligierter, die Leute davon abhielten, ihn zu hängen. Proteste brachen aus als Gefangene sich dem Plan widersetzten, dass 39 Minderjährige aus dem Calahuma Center zur Jugendrehabilitierung nach San Pedro in La Paz zu überstellen. Nach diesem Tag traute sich Llanos nicht mehr, das kämpferische Gefängnis zu betreten. Während des gesamten Monats befand sich das Gefängnis in einem Zustand von Meuterei und Aufständen, an denen alle neun Abschnitte die Gefängnisgebäude übernahmen. Flammen wurden auf den Dächern und in den Höfen gesehen.
Spätestens am 10. Juni begannen Gefangene in diesem Gebiet neue Aufstände und Proteste und verurteilten die Tatsache, dass nur vier von hundert Anhörungen stattgefunden haben, während der Rest aufgeschoben wurde. Die zentrale Parole war die Forderung des Rücktritts von Llanos. Die Absicht des Staates ist es, das San Pedro Gefängnis zu schließen, indem die Verurteilten in das ‘Chonchoro’-Hochsicherheitsgefängnis, die unter 25-Jährigen in das ‘Calahuma-Zentrum zur Rehabilitierung von Jugendlichen’ und die in Untersuchungshaft Sitzenden in die Knäste in Patacamaya und Sica Sica gesandt wurden, die hunderte Kilometer von La Paz entfernt sind. Diese Schritte wurden als eine Vergeltungsmaßnahme und Bestrafung gegen die Tatsache durchgeführt, dass sich dieser Knast seit 2012 im Ausnahmezustand befand und den Rücktritt des Direktors forderte.
24. Juni: Es begannen gleichzeitig Proteste in den Knästen von El Abra in der Stadt Cochabamba und San Pedro in der Stadt Oruro. Die Protestierenden forderten, dass ihre Wasser- und Elektrizitätsanbindung – vor dem Hintergrund, dass der Staat die Rechnungen nicht gezahlt hatte – nicht unterbrochen werden.
26. Juni: Die Reaktion in dem ‘Chonchoro’-Hochsicherheitsgefängnis ließ nicht lang auf sich warten, nachdem bekannt wurde, dass Gefangene aus San Pedro hierhin transferiert werden.
02. Juli: Die Knäste Chonchocoro und Calahuma protestieren und kündigen an, dass sie den Alarmzustand auslösen würden als sie mit dem möglichen Transfer von Insass_innen aus anderen Knästen konfrontiert wurden, was eine Überbelegung in beiden Einrichtungen zur Folge hätte.
Wir hoffen auf die Einheit und Solidarität unter den Gefangenen des bolivianischen Territoriums und dass sie sich vom Staat nicht durch ‘sektionale Verhandlungen’, die eine Gruppe gegen die andere ausspielt, spalten lassen – so wie es öfter zur Beendigung der Riots geschah.
Armut wird mit Knast bestraft
‘Verbrechen wird nicht bestraft, sondern Armut’
(Worte eines älteren Gefangenen im San Pedro-Knast)
In den Knästen hier ist die Mehrheit der Anwesenden arm. Nichtsdestotrotz können die Wohlhabenderen komfortbabler leben, da das Geld regiert. Die Armen müssen miserable Bedingungen, Krankheiten und Elend ertragen. So müssen die Gefangenen beispielsweise im Knast von San Pedro in La Paz die Aufrechterhaltung der Zellen, die Infrastruktur, den Erholungsbereich, die Küche, die Reinigungsmaterialien, Medikament und andere Waren selbst organisieren. Der Staat weiß über diesen Kontext Bescheid, aber in seiner Gefühlslosigkeit und Verachtung gegenüber den Armen zwingt er sie, für ihre Knastzeit mit ihren eigenen Ressourcen zu zahlen.
Es ist der/die Arme, der/die die brutale Auswirkung der Knastgesellschaft sowohl durch die Hände des Richters, der darüber entscheidet, ob jemand in den Knast geht oder nicht, als auch in der U-Haft zu fühlen bekommt, wo er/sie vorweisen muss, eine etablierte Familie, eine Unterkunft, eine Bürgschaft oder eine wirtschaftliche Garantie oder einen Job zu haben. All diese Faktoren minimieren die Möglichkeit, die Strafe auf Hausarrest anzusetzen. Daher ist die Frage: Sind alle Gefangenen in einer ökonomischen Position, um davon zu profitieren? Die Beständigkeit einer armen Mehrheit in den Knästen wird kontinuierlich aufrechterhalten und für sie ist das Strafvollzugssystem sogar noch härter – mit raren Möglichkeiten, herauszukommen. Die maximale Zeit in U-Haft beträgt 36 Monate. In bolivianischen Gefängnissen gibt es aber in U-Haft Sitzende, die länger als drei Jahre einsitzen, ohne verurteilt worden zu sein (in einigen Fällen beträgt die U-Haft gar 5 bis 8 Jahre). Diese grausamen Bedingungen sorgen für eine beabsichtigte Überfüllung in Knästen und versichert, dass die Knäste mit Armen gefüllt werden. Der Staat wird eine weitere Bedingung umsetzen für die Freilassung in Hausarrest: Wenn ein Gefangener raus möchte, muss er/sie eine Fußkette mit einem GPS-Chip tragen, der insgesamt 4000$ kostet. Davon werden nur jene profitieren, die die Möglichkeit haben, die Kosten zu zahlen. Für diejenigen ohne die Mittel gibt es nur die Hoffnung, dass sie eines Tages herauskommen. Es gibt viele ältere Gefangene und viele in medizinisch schlechter Verfassung, die eine Verlegung auf Hausarrest beantragten. Mit dem Amnestie-Gesetz vom 24. Dezember 2012 konnten nur sehr wenige rausgehen. Es gibt keine adäquate medizinische Versorgung oder effiziente Methode für medizinische Behandlung selbst nicht in Notfällen. Während bürkratische Papierarbeit alles weiter verlangsamt, ist das Ergbnis dieser Ineffizienz, dass die Gesundheit von Individuen sich weiter verschlechtert. In vielen Fällen starben Gefangene durch fehlende Medizin oder fehlende medizinische Beachtung. Hinzu kommt, dass es nach der Knastzeit schwierig ist, einen Job mit einem Eintrag in der Kriminalakte zu finden. Das alles ist durch die staatliche Gleichgültigkeit legitimiert.
In dem Hochsicherheitsgefängnis Chonchocoro, das sich in Viacha befindet, gibt es kein trinkbares Wasser. Die Insass_innen haben nur einen Brunnen, dessen Wasser auch nicht trinkbar ist, um sich mit Wasser zu versorgen.
Das Knastleben in Bolivien richtet sich nach dem ökonomischen Status jedes/r Einzelnen. Die Mehrheit muss jede Arbeit annehmen, um zu überleben und Unterkunft, Bett, Decken, Medizin und andere Waren zu zahlen. Unter den Gefangenen wird Essen und Kleidung gekauft und verkauft – alles ist eine Ware zum Handeln. Knäste machen die Misere einer autoritären Gesellschaft sichtbar, die sich aussucht, wen sie beschützt und wen sie in den Käfigen hinterlässt.
Die Komplizenschaft von Presse und Herrschaft
Die Rolle des Klatsch- und Sensationsjournalismus ist, ihre ‘Information’ an die staatliche Version anzugleichen, was zur Folge hat, dass die Gefangenen mit Verachtung angesehen werden und somit eine breitere ‘gesellschaftliche’ Zurückweisung impliziert.
Bis zu diesem Tag hat das Strafvollzugssystem die Aufmerksamkeit dank der unhinterfragten Berichterstattung der Presse in eine andere Richtung gelenkt. Sie haben ebenso behauptet, dass ein Kind in San Pedro vergewaltigt wurde und dass es ein Drogenlabor im Gefängnis von La Paz gibt.
Der Staat schaffte es, die Knast-Riots durch die Boulevardpresse zu minimieren und zu beschmutzen aber auch die häufigen Drohungen an Knastrepräsentant_innen anderer Knäste zu senden zu senden, wenn sie jene identifiziert haben. Die unterwürfige Rolle der Desinformations-Medien verpackte all das, um eine unvorteilhafte Situation der Gefangenen zu erzeugen. In San Padro stimmten sie freiwillig für den Abzug von Kindern, die älter als 11 Jahre alt sind, und am 8. Juli trafen sie sich mit Staatsrepräsentant_innen und stimmten auch zu, alle Kinder, die älter als 6 Jahre sind, einzuschließen.
Die Zurückweisung von Vergewaltigern
In dem Palme Sola Gefängnis – in der Stadt Santa Cruz de la Sierra – kam es vor, dass Minderjährige sexuell mibraucht wurden. Diese Taten sind abscheulich und wir verurteilen dies. Bedauernswerterweise geschah dies nicht nur in bolivianischen Knästen, wo Kinder untergebracht sind, sondern auch in Schulen, Kirchen, Unterkünften und Waisenheimen, wobei diese Räume auch Knäste mit anderen Namen sind. Ramiro Llanos – Direktor des Strafvollzugsystems – nutzte diese widerwärtigen Handlungen, um sie auf alle Gefangenen zu generalisieren und einen Nutzen aus der ‘öffentlichen Meinung’ zu ziehen. Unter den San Pedro-Gefangenen trat eine kollektive Übereinkunft hervor, um die Aufnahme von Insass_innen, die Vergewaltigungen begangen haben, zu unterbinden als ein weiteres Mittel des Kampfes. Von den Postern, die an den Wänden geblieben sind, und der Gefängnistür riefen sie nicht nur zu Llanos’ Rücktritt auf, sondern auch zur Zurückweisung von Vergewaltigern.
Die allseits bekannte repressive Strategie des Staates ist die Spaltung, Infiltration, Einschüchterung und Bestrafung, um ein Exempel an Individuen zu statuieren. Somit ist die Regierung in der Lage Bewegungen durch [separate] Verhandlungen nach Gefängnissektion zu schwächen, zu spalten und aufzulösen. Der Anstieg der Kontrollzustände und der Überwachung im Strafvollzug sind Teil der Aufrechterhaltung der bourgeoisen Gesellschaft. Es wird angenommen, dass der Knast die Lösung für die “Sicherheit der Bürger_innen” ist oder “Kriminalität reduziert”. Durch dieses Paradigma offenbart sich die einzig wirkliche Intention des Staates: Die Verteidigung von Privilegien und die Aufrechterhaltung der Interessen der Reichen. Dieser Hintergrund zeigt uns zum Beispiel unbestreitbar, dass einige Essen klauen, während andere gegen das Gesetz verstoßen, um ihre Komplizenschaft mit den Zumutungen dieser dekadenten Gesellschaft zu vermeiden. Gefängnisse in Bolivien – so wie überall sonst auf der Welt – reflektieren diese Gesellschaft auf der Mikro-Ebene; sie sind kleine Städte, in denen die Mängel des Systems, in dem wir leben, sichtbar gemacht werden: Es gibt die Privilegierten, die Armen, jene, die als Verräter für die Polizei oder die ‘Justiz’-Verwaltung fungieren. Es gibt Drogen und Alkohol in den Knästen, weil die selben Verwalter_innen und die Polizei diese kleine Welten mit Laster und Krankheiten verfault. Daher zeigt sich – weil Macht die Privilegien des Staates/Kapitals sichert – die Verachtung für die Armut und jene, die sie bekämpfen.
Anarchistische Solidarität wird auf jene ausgeweitet, die unter Strafe leiden; jene, die sich nicht den Normen beugen; jene, die wie auch immer überleben während die Herrschenden die Erde ausbeuten und zerstören. Dies ist ein bescheidener Aufruf, für eine andere Welt als diejenige zu kämpfen, die sie uns aufgedrückt haben.
Kampf gegen den Staat mit all unserer Kraft! Das ewige Warten auf eine allgemeine Massenrevolte ist wahrlich ein utopisches Verlangen, das nur die Existenz des Feindes aufrecht erhält, stärkt und sicherstellt. Bewegung in die Offensive, Konspiration, Action! Es gibt keinen Grund, auf den Aufstieg der Massen oder auf die geeigneten Bedingungen zu warten. Während wir warten, bauen sich Autorität, Repression, Überwachung und Bestrafung weiter gegen die Armen und jene, die sich entschieden haben, in die Offensive zu gehen, aus. Greift aus Liebe das an, wovon ihr träumt und was ihr in euch fühlt, und aus Hass das Elend der Gesellschaft.
Wir vergessen nicht unsere Genoss_innen, die in den gehassten Käfigen des Feindes eingesperrt sind. Wir vergessen auch nicht jene, die sich entschieden haben zu fliehen und somit ihre Ablehnung gegen staatlicher Verfolgung in einer Gesellschaft zeigten, die auseinander fällt und Knäste braucht, um uns abzuschrecken, und sich selbst zu erhalten. An unsere Genoss_innen: Unsere aufrichtigsten Grüße, gefüllt mit anarchistischer Komplizenschaft.
Für eine Gemeinschaft der freien Assoziation und der informellen Organisation – ohne Knäste, Staat oder Kapital.
Feuer den Knäste und der Autorität; Solidarität mit den Gefangenen auf dem bolivianischen Territorium!