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Athen: Bekennerschreiben für den Sprengstoffanschlag im Finanzamt von Kifissia

In den frühen Morgenstunden des 26. September 2013 brachten wir im örtlichen Finanzamt von Kifissia [einem Stadtteil im Norden Athens] einen Sprengsatz an, als eine erste Antwort auf die Anstrengungen, die der Staat unternimmt, um sich als Schiedsrichter und Bestrafungsinstanz seiner eigenen Golden-Dawn-Angestellten aufzuspielen und auf das Spektakel, das er inszeniert und das als Nebelwand fungiert, um von seinem eigenen faschistischen Regierungsstil wie auch den neuen mörderischen Sparmaßnahmen abzulenken. Der Faschismus ist genau wie die präsidentielle parlamentarische Demokratie ein Machtmodell, das auf dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem aufbaut und Kapitalisteninteressen dient. Die in Kraft gesetzten Maßnahmen werden durch den freien Markt diktiert, durch Interessen, die niemals demokratisch sein werden – vielmehr sehen wir weder in den Verhältnissen der Arbeit noch des alltäglichen Lebens, wo diese nach den Grundsätzen des Kapitalismus organisiert werden, Demokratie und Freiheit in Anwendung. Der moderne Totalitarismus wird aufgebaut durch Konzentrationslager, den Erschießungen von migrantischen Feldarbeitern wie in Manolada [auf dem Peloponnes] geschehen, den Schließungen von öffentlichen Krankenhäusern, Entlassungen, kino-inspirierten Invasionen von Robocops, Hungerlöhnen, der Inhaftierung von Kämpfenden, die Diffamierung von sozialen Kämpfen ohne Anführer, der öffentlichen Stigmatisierung von [angeblich] HIV-positiven Frauen, Steuerraubzügen und den existierenden und zukünftigen Memoranden mit der IWF/EZB/EU-Troika.

Den Mord an Pavlos Fyssas, der eine Sturmflut des Zorns gegen den Faschismus auslöste, versucht die Regierung für ihre Zwecke auszubeuten. Die Regierung hat die politischen Kosten der Vertuschung eines weiteren faschistischen Mordes berechnet, sich geschickt eine demokratisch-antifaschistische Fassade aufgesetzt und propagiert ununterbrochen zwei Theorien: die Doktrin der zwei Extreme, und die Doktrin des demokratischen Bogens. Entsprechend der ersten versuchen sie ganz offensichtlich, Aktionen gegen den Totalitarismus und Aktionen der Rechten über einen Kamm zu scheren. Diese harte Linie gegen die Anomie der Nazis, eine durch das gegenwärtige „politische Gleichgewicht“ auferlegte Vorgehensweise, schließt auch Aktionen von Revoltierenden mit ein und bereitet den Weg für eine neue Angriffswelle gegen Menschen, die den Kampf weiterführen. Der „demokratische Bogen“, schlimmer noch, die „antifaschistische Front“ zielt genau auf dasselbe ab. Es ist lediglich ein weiteres politisches Spiel zu dem Zweck, die systemischen Kräfte gegen jeglichen „Extremismus“ zu bündeln. Wir möchten diejenigen, die plötzlich die antifaschistische Front entdeckt haben, daran erinnern, dass es den Kampf gegen Faschismus bereits gab, bevor die Nazis in das griechische Parlament einzogen, und dass er seit Jahrzehnten von Tausenden von Menschen geführt wird, die von Faschisten angegriffen wurden und die Faschisten angegriffen haben. Dieser Kampf muss sich noch enorm verstärken; eine wesentliche Grundbedingung dafür ist, alle Kräfte des autoritären Spektrums auszuschließen, die sich opportunistisch Antifaschisten nennen. Die Goldene Morgendämmerung, die herrschenden politischen Parteien und die ewig apologetische, sich selbst als Opfer darstellende Linke sind die Fliegen, die den Scheißhaufen der Macht umschwirren.

Die sich auf derselben Wellenlinie wie die Regierungen befindlichen Fernsehsender zusammen mit dem ganzen Rest der konservativen Presse porträtieren sich als Antifaschisten. Die Abkömmlinge der mavragorites [der Schwarzhändler während der Nazibesatzung in Griechenland] in ihrer Ministerkostümierung verurteilen heuchlerisch die faschistischen Messerstechereien als Teilnehmer eines Spiels, das „Kampf gegen Faschismus“ betitelt wird. Gutbezahlte Journalisten skandieren Arm in Arm mit Politikern „Nein zu Faschismus“. Es ist tragikomisch, dass diese untergeordneten Papageien es wagen, von Antifaschismus zu sprechen, dieselben, die durch jahrzehntelange systematische Propaganda gegen „ausländische Kriminelle“ die Goldene Morgendämmerung gefördert und den Nationalstolz angestachelt haben, nachdem die nationale Fußballmannschaft ein paar Treffer gelandet hatte. Das Fernsehen, das es leicht hat, seine Zuschauer zu verdummen, hat seinen Teil dazu beigetragen, dass das Stimmvolk sich im Glauben wiegt, von den Eiern Platos abzustammen und aufgrund seiner Weißhäutigkeit vom Schicksal zu Großem bestimmt zu sein.

So wurde ein Klima der Toleranz von Aggressionen und Folter an Menschen erzeugt, in den Straßen wie auf Polizeirevieren, bis hin zur Toleranz von Morden, wie der tödliche Messerangriff auf Shehzad Luqman am 17. Januar 2013 in Petralona durch die Faschisten Christos Stergiopoulos und Dionisis Liakopoulos. Der Fahrkartenkontrolleur, der den 19jährigen Thanassis Kanaoutis am 13. August 2013 in Peristeri bei einer Busfahrkartenkontrolle ermordete, ist der typische Kannibale, der durch Arbeitsdschungel, soziale Unsicherheit und Wirbelsturm im Gehirn erschaffen wird. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war der Mord an Pavlos Fyssas am 18. September 2013 in Amfiali durch das Mitglied der Goldenen Morgendämmerung Giorgos Roupakias. Durch ihn wurde die Kettenreaktion in Gang gesetzt, welche die Regierung versucht, zu ihrem Vorteil zu drehen. Das Kapital gebärt den Faschismus, der Staat zieht ihn auf, und die kritische Masse der Wähler, die Idioten, aber nichtsdestoweniger verantwortlich sind, liefert die Grundlage und den Brennstoff. Die Logik, nach der die Verantwortung an Politiker oder Gewerkschafter abgegeben wird, auf der einen Seite und die Gehirnwäsche durch Massendomestizierungsmedien auf der anderen Seite haben zu der gegenwärtigen Faschisierung eines beträchtlichen Teils der Gesellschaft geführt. Individuen, die in Angst leben, da sie den Aufstieg in höhere Gesellschaftsschichten nicht geschafft haben, obwohl sie über Leichen gegangen sind, und auf die Rettung durch einen Messias-Führer hoffen, sind die idealen Unterstützer einer faschistischen Partei.

Die Rolle der Goldenen Morgendämmerung ist es immer gewesen und ist es noch, die Drecksarbeit für das System zu erledigen, den Vortrupp zu stellen für die extremsten Maßnahmen des Staates. Nationalistische Gruppierungen existieren, um jene Teile der Bevölkerung zu terrorisieren und zu disziplinieren, die durch die gesetzlichen Mittel des Staates nicht genügend in Angst versetzt werden können, um sie von radikalen Lösungen abzuhalten. Wir sollten nicht die Dutzende von Angriffen mit Tötungsabsichten auf migrantische und lokale Arbeiterinnen und Arbeiter vergessen wie auch die gezielten parastaatlichen Angriffe, die aus Gründen von schierem Glück und Unzulänglichkeit der Durchführung nicht zu dem (von ihnen) gewünschten Ziel geführt haben. Die Handgranate, die am 24. Februar 2009 vor dem sozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten [Steki Metanaston] in Exarchia während eines Treffens von Kriegsdienstverweigerern explodierte; die Bombe beim ehemaligen Xenia Hotel auf dem Berg in Parnitha, die am 10. Juli 2010, ein paar Tage nach einer zweitägigen von Anarchisten organisierten Veranstaltung entdeckt wurde (ein Fall, der zur Verhaftung Christos Loukopoulos, eines Handlangers mit Verbindungen zur Goldenen Morgendämmerung, führte), sind einige Beispiele für Aktionen der Rechten.

Natürlich müssen Organisationen wie die Goldene Morgendämmerung und dergleichen entsprechend konfrontiert werden, besonders wenn sie selbst das Gewaltniveau erhöhen, doch darf darüber nicht vergessen werden, was das primäre Ziel ist, nämlich ihre Auftraggeber: der Staat und die Bosse, das Finanzestablishment; Kapitalisten wie Bobolas, Vardinogiannis, Kouris und die Politiker, die sie unterstützen und von ihnen unterstützt werden wie die politischen Familien von Venizelos, Karamanlis und Mitsotakis; diejenigen, die an den Schaltstellen des Staatsapparates sitzen, Berater und Chefs der Exekutive wie Provopoulos [gegenwärtiger Direktor der griechischen Zentralbank] und Kranidiotis [enger Berater des gegenwärtigen Premierministers Antonis Samaras] und die designierten Wissenschaftler und Journalisten zu ihren Diensten.

Antifaschistin und Antifaschist zu sein bedeutet, gegen das System zu sein, das Faschismus ausbrütet. Die einzige Front, die sich gegen den Faschismus stellt, ist dieselbe, die gegen Staat und Bosse kämpft.

Kräfte des Revolutionären Bogens

PS. Wir senden unsere kameradschaftlichen Grüße und Solidarität an die Kämpfenden in Gefangenschaft. Stärke für die des doppelten Bankraubs Beschuldigten in Velventos, Kozani, deren Verhandlung am 29. November 2013 in Athen beginnen wird.