Anarchismus ist eine breit gefächerte Bewegung mit einer Vielzahl von Interpretationen, die die folgenden Grundsätze gemeinsam haben. Als Anarchist*innen glauben wir an die freie Assoziation, verstanden als die Schaffung freier Vereinbarungen ohne die Intervention von Chef*innen oder Führer*innen. Wir glauben an die Errichtung einer horizontalen Gesellschaft, in der Menschen zueinander gleich sind. Wir beabsichtigen Toleranz Anderen gegenüber, da wir glauben, dass alle so leben können, wie sie wollen, solange andere nicht ausgebeutet oder unterdrückt werden. Wir organisieren uns in Selbstverwaltung, verstanden als eine Form in der organisierte Leute diejenigen sind, die Lösungen für Bedürfnisse wie Wohnraum, Gesundheit und Ausbildung suchen.
Trotz dieser Prinzipien wollte die anarchistische Bewegung keine echte Alternative zu den verschiedenen sozialen Konflikten sein. Ein Thema, das ich in den 17 Jahren, in denen ich in verschiedenen Gruppen in Santiago an dieser Bewegung teilgenommen habe, beobachten konnte. Dieser Mangel kann innerhalb verschiedener Aspekte beobachtet werden, die ich im Folgenden teile und analysiere.
Ein Aspekt, der begreifen lässt, dass die anarchistische Bewegung nicht willens ist, eine wirkliche Alternative zu den verschiedenen Sozialen Konflikten zu sein, ist genau die Tatsache, dass nicht wirklich von einer „Sozialen Bewegung“ gesprochen werden kann. Jedes Mal, wenn versucht wurde, die verschiedenen Gruppen zu koordinieren, wurden sie intern boykottiert (entweder durch Gruppen oder von Einzelpersonen). Deshalb sind die Anarchist*innen aufgesplittert und wenig organisiert geblieben. Der Mangel an Organisation und Koordination zwischen Gruppen und Einzelpersonen hat eine langfristige Arbeit behindert, die es uns ermöglicht, mit unserem Diskurs eine kohärente Betätigung voranzureiben. Dies führt dazu, dass wir gegenüber den sozialen Konflikten reaktiv sind und permanent Lösungen improvisieren, die nicht auf Grundlage des Aufbaus einer soliden Arbeit begründet sind. Diese findet höchstens in internen Diskussionen in den verschiedenen Gruppen statt. Darüber hinaus führt der Mangel an echter Arbeit dazu, dass die wenigen Gruppen oft zu rein intellektuellen Diskussionsräumen werden.
Ein zweiter Aspekt ist der Atomismus, der in der Bewegung in den letzten zehn Jahren aufgetreten sit. Dieser Atomismus hat uns zu einem Punkt gebracht, dass sogar die Bildung kleiner Gruppen von fünf oder zehn Leuten eine titanische Anstrengung bedeutet. weil die Denkunterschiede zwischen Individuen nicht akzeptiert werden können. Dieser Aspekt widerspricht praktisch vollkommen dem ideologischen Wesen des Anarchismus, Toleranz zu befürworten. Diese Unfähigkeit, intern zu verhandeln, führt bei den wenigen existierenden Gruppen zu Atomisierung, die ihre ohnehin begrenzten Kapazitäten reduzieren. Diese Atomisierung hat einen Punkt erreicht, der an Lächerlichkeit grenzt. Ein Beispiel dafür ist, was wir als „Verlag“ bezeichnen, was in Wahrheit ein* Gefährt*in ist, d*ie ein Buch herausbringt. Versteht dieses Beispiel nicht falsch. Ihr müsst fair sein, um anzuerkennen, dass die individuelle Arbeit dieser Gefährt*innen es ermöglicht hat, eine Lücke in Bezug auf verfügbares Lesematerial zu schließen. Vor etwa 10 oder 12 Jahren waren die Bücher, die oft Fotokopien waren, wenige und gingen von Hand zu Hand, bis der Gebrauch sie fast fast unleserlich machte. Es muss verstanden werden, dass ich dieses Beispiel nur verwendet habe, um die Atomisierung zu belegen, von der ich spreche.
Ein weiterer Aspekt ist der Mangel an eigentlicher Arbeit, die oft zur Demobilisierung von Gefährt*innen führt. Diese Menschen entscheiden sich letztendlich dafür, ein “normales” Leben zu führen, weil es keine Ergebnisse gibt. Wenn wir denken, dass der Beginn der aktiven Teilnahme bei ungefähr 14 oder 15 Jahren liegt, dann hast du, wenn du die Dreißig erreichst, die Hälfte deines Lebens einer “Bewegung” gewidmet, die wenig oder gar keine Früchte bringt. Das demotiviert definitiv die Mehrheit. In der Tat gibt es wesentlich weniger Gefährt*innnen, die über 30 Jahre alt sind als diejenigen, die in ihren 20ern sind und ein gewisses Maß an mehr oder weniger aktiver Teilnahme einbringen. Diese Demobilisierung untergräbt auch die “Bewegung”, da sie den Austausch von Erfahrungen nicht zulässt. Heute wissen 18- und 20-jährige Gefährt*innen mehr über das Spanien von ’36 als darüber, was der Anarchismus in Chile in den letzten 30 Jahren gewesen ist, seine Fehler, Erfolge, Repressionen usw.
Ein vierter Aspekt ist der Mangel an finanzieller Mittel. Dies ist offensichtlich und wird durch die Jugendlichkeit der “Bewegung” verschärft .Wenn man bedenkt, dass die Mehrheit der aktiven Teilnahme zwischen 16 und 24 Jahren liegt, gibt es nur wenige Mittel, die eingebracht werden können. Wenn man bedenkt, dass im Durchschnitt erst mit dreißig Jahren ein gewisser Grad von wirtschaftlicher Stabilität erreicht ist, wird das Bild noch komplizierter, denn wie ich schon sagte, in diesem Alter haben sich die meisten Compañeros und Compañeras von einer aktiven Teilnahme zurückgezogen. Dies wird durch die fast fehlende Existenz anarchistischer Räumlichkeiten belegt, als fünften zu benennenden Aspekt, der dazu führt, dass die anarchistische Bewegung keine echte Alternative zu sozialen Konflikten darstellt. Die Nichtverfügbarkeit von Räumen hat den Rückzug von Gruppen verhindert, wenn eine Repressionswelle einsetzt oder wenn Organisationen aus anderen Gründen geschwächt werden. Dann hat das Fehlen von Räumen verhindert, dass die Gruppe langfristig arbeiten kann. Die meisten benutzen bereitgestellte oder besetzte Räume. Bei Ersteren besteht die Gefahr, dass der Eigentümer, sei es eine einzelne Person oder eine Gruppe, es nicht mag, was mit dem Raum getan wird, und bei letzterem besteht permanent das Risiko der Räumung.
Nun, es gibt keine magischen Rezepte, um die Probleme der “Bewegung” zu lösen. Ich glaube sagen zu können, dass das Erste, was wir brauchen, die Bereitschaft derer ist, die sich als Teil davon fühlen. Von den 14- bis 15-jährigen Jugendlichen bis zu den 30- bis 40-Jährigen bleibt hier niemand ausgeschlossen. Gefährt*innen , jeder kann seinen Beitrag einbringen: Zeit, Arbeit, Erfahrungen oder Ressourcen. Wenn wir wirklich glauben, dass der Anarchismus eine Antwort auf die verschiedenen sozialen Konfliktee geben kann, in denen wir leben, müssen wir in der Lage sein, die Hindernisse zu überwinden, mit Atomismus zu brechen und Vereinbarungen zu treffen, um einen gemeinsamen und breiten Weg zu schaffen, der bestehende Tätigkeiten stärkt und neue schafft.
von F. C.
März 2018
auf spanisch